Eberhard Stegerer: Die Kriminalpolizei im „Dritten Reich“: Dr. Bernhard Wehner – ein politisch unabhängiger Experte des Reichskriminalpolizeiamtes? Publikationen im Kontext der Nachkriegsnarrative und -kontinuitäten in der Kriminalpolizei der Bundesrepublik Deutschland, Cvillier Verlag: Göttingen 2023 (348 S.)
Die Verbrechensbekämpfung gehörte nicht zu den zentralen Politikfeldern des nationalsozialistischen Regimes, trotzdem zählte die Kriminalpolizei „zum Kern und Machtzentrum“ dieses völkischen Maßnahmenstaates. Die Kontrolle der Kriminalität und die Verfolgung von sogenannten ‚Berufsverbrechern‘ und sozialen Randgruppen waren wesentliche Elemente nationalsozialistischer Gesellschaftspolitik. Eine von Himmler 1937 zentralisierte, im Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) verreichlichte und 1939 in das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) integrierte Kriminalpolizei wurde ein wirkungsvolles Werkzeug des NS-Staates und vollzog Maßnahmen zur ,Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung‘ zum Schutz der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘, vor allem auch zum Schutz ihrer vermeintlichen biologischen Substanz. In diesem Rahmen wurden sowohl im Deutschen Reich als auch in den von der Deutschen Wehrmacht okkupierten Gebieten rund 110.000 Menschen von der Kriminalpolizei als ‚Verbrecher‘ oder ‚Asoziale‘ in Konzentrationslager deportiert, wo mehrere Zehntausend den Tod fanden. Zudem verschleppte die Kriminalpolizei weit über 40.000 Sinti und Roma, die fast alle in der Folge umkamen. Die Deportationen wären ohne die Kriminalpolizei nicht möglich gewesen, sie wurde damit auch in den Einsatzgruppen der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und des Sicherheitsdienstes (SD) zum Vollstrecker der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Read the rest of this entry »
Radmila Mladenova (Hrsg.): Counterstrategies to the Antigypsy Gaze (=Antiziganismusforschung interdisziplinär: Schriftenreihe der Forschungsstelle Antiziganismus, Bd. 5), Heidelberg 2024.
In der Schriftenreihe Antiziganismus interdisziplinär der Forschungsstelle Antiziganismus ist jüngst der von Radmila Mladenova herausgegebene Sammelband „Counterstrategies to the Antigypsy Gaze“ erschienen. Der Band befasst sich damit, wie sich Antiziganismus im Film begegnen lässt.
Ziel ist es, den Fokus weg von der Antiziganismuskritik zu verlagern und die Diskussion über die künstlerischen Gegenstrategien zum Antiziganismus zu eröffnen, die die Notwendigkeit intertextueller, transkultureller und transmedialer Ansätze bei der Analyse hervorhebt. Die Beiträge stellen die Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse in den Vordergrund und bieten eine breite Palette an Beispielen, die für Filmemacher und Fachleute aus der Filmindustrie nützlich sein könnten. Der Band dokumentiert die Fallstudien des internationalen Workshops „Artistic Alternatives to the Antigypsy Gaze“, der 2021 in Heidelberg stattfand.
Bastian Fleermann: Ausgrenzung und Faszination. Sinti und Roma in Düsseldorf und im nördlichen Rheinland vom Spätmittelalter bis zum Ersten Weltkrieg, C. W. Leske Verlag: Düsseldorf 2024 (216 Seiten).
Faszination, Koexistenz und Ausgrenzung: Nicht immer, aber sehr oft trafen die Sinti und die Roma auf Argwohn und Verachtung. Erstmals spürt eine Überblicksstudie dieser Minderheit und dem Umgang mit ihr in einem umgrenzten Raum über mehrere Jahrhunderte hinweg nach – und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen.
Schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts gewährte ein Schutzbrief einer Roma-Gruppe in Düsseldorf und im Herzogtum Berg freies Geleit. Seit dieser Zeit lebten Roma, Sinti und andere Völker, von der Mehrheitsgesellschaft zunächst als »Czygeiner« bezeichnet, im nördlichen Rheinland. Die hier erstmals zusammengetragenen Quellen belegen neben Anfeindungen und Ausgrenzungen auch Phasen friedlicher Koexistenz und Zusammenarbeit. Sie zeichnen das Bild einer vielfältigen Minderheit, die sehr geschickte Überlebens- und Anpassungsstrategien entwickelte, um staatlicher Repression zu entgehen und sich in der Region zu behaupten. Und sie lassen eine Alltagsebene sichtbar werden, die nur scheinbar mit den parallel entstandenen populären »Zigeuner«-Bildern korrespondiert: Der Kitsch in der Kunst oder auf der Bühne, auf Fotopostkarten oder in Schauergeschichten hatte mit der Lebensrealität von Sinti oder Roma so gut wie nichts zu tun. Read the rest of this entry »
Abstract:Die vorliegende Masterarbeit untersucht die mit dem Übergang zum Kapitalismus in Rumänien einsetzende Verdrängung der Roma aus ihren Wohnungen und deren Folgen insbesondere für Geschlechterverhältnisse. Im Gegensatz zur staatssozialistischen Periode Rumäniens vor 1989, deren Ideologie auf Verstaatlichung und Gleichheit abzielte, sich gegen Klassen- und Kulturunterschiede wandte und Elendsviertel ebenso wie Prunkbauten ablehnte, führten die politökonomische und gesellschaftliche Transformation und insbesondere die Privatisierung und Kommodifizierung von Wohnraum und Land im Postsozialismus zu erheblicher Ungleichheit von Lebensbedingungen und zur Verdrängung und räumlichen Segregation vieler Bedürftiger, vor allem Roma. Die räumliche Verdrängung hatte vielerorts die Errichtung von informellen Roma-Siedlungen in räumlich und sozial marginalisierten Gebieten zur Folge, die mit der Wiederbelebung traditioneller Roma-Gemeinschaften einherging. Damit verband sich zugleich die – im öffentlichen wie im akademischen Diskurs bisher kaum reflektierte – Retraditionalisierung von Geschlechterverhältnissen in der Roma-Community, die für Roma-Frauen vor allem verstärkte patriarchale Rollenzuschreibungen, erhöhte soziale Kontrolle, zusätzliche Care-Arbeit und räumliche Isolation bedeutete.
Während des Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma verfolgt und ermordet. Akten und Dokumente der NS-Behörden wurden in der Bundesrepublik Deutschland von Polizeidienststellen weiterverwendet. Ein Vortrag der Kulturwissenschaftlerin Yvonne Robel.
Europa-Universität Flensburg: Die Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History erforscht grundständig die Geschichte der Sinti und Roma im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit.
Laufzeit: 1.12.2023 bis 30.11.2025
Im Januar 2022 hat der Schleswig-Holsteinische Landtag einstimmig beschlossen, die Geschichte der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein, insbesondere zu Verfolgung und Vertreibung im Nationalsozialismus, aufzuarbeiten. Im Dezember 2023 ist der Startschuss für die wissenschaftliche Untersuchung des Themas durch die Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History der Europa-Universität Flensburg gefallen.
Forschungsstelle
Den Zuschlag für das Projekt hatte die Forschungsstelle im Oktober 2023 erhalten. Gegenstand des Forschungsprojekts ist die Geschichte der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein im 20. Jahrhundert, mit dem Schwerpunkt auf der NS-Zeit und deren Bewältigung nach 1945. Der Fokus des Projekts liege nach Auskunft der Forschungsstelle auf der Erschließung aller Entschädigungs- und Wiedergutmachungsverfahren, die in Schleswig-Holstein im Hinblick auf Sinti und Roma geführt wurden. Weitere Arbeitsfelder des Projektes seien die Durchführung von narrativen Interviews mit Nachkommen der Überlebenden, die Erstellung einer Auflistung regionaler Überlieferungen in Schleswig-Holstein und die Durchführung einer exemplarischen Zeitungsanalyse, um insbesondere die Kontinuitäten des Antiziganismus zu analysieren.
Abschlussbericht für November 2025 erwartet
Projektleiter ist der Direktor der Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History, Prof. Dr. Marc Buggeln. Am Projekt wirken darüber hinaus die wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Sebastian Lotto-Kusche und Melanie Richter-Oertel sowie studentische Hilfskräfte mit. Die Forschungsstelle wird bis zum 31. Oktober 2024 einen Zwischenbericht fertigen. Der Abschlussbericht soll dann bis zum 30. November 2025 vorliegen. Die Forschungsstelle untersucht und vermittelt seit Jahrzehnten die Geschichte des Nationalsozialismus und dessen Nachgeschichte in der Region. Read the rest of this entry »
Ruža Nikolić-Lakatos (1945–2022) war eine herausragende Persönlichkeit in der Welt der Roma-Musik in Österreich und wurde ab den 1990er-Jahren als Vertreterin der Lovara-Lieder öffentlich bekannt. Als Botschafterin ihres Volkes trug sie in Österreich maßgeblich zur Verbreitung der Musiktradition und zur Anerkennung der Roma/Romnja als Volksgruppe bei. Bis kurz vor ihrem Tod trat Ruža Nikolić-Lakatos, deren Vorname ‘Rose’ bedeutet, regelmäßig mit ihrer Familie, The Gypsy Family, in ganz Österreich und im Ausland auf.
Ružake gila widmet sich dem musikalischen Nachlass von Ruža Nikolić-Lakatos. Durchgeführt vom MMRC (Music and Minorities Research Center)> der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien leistet das Projekt damit einen Beitrag zur Sichtbarmachung und Zugänglichkeit der Roma-Musik in Österreich. Die digitale Ausstellung gibt einer außergewöhnlichen Sängerin eine Plattform und ermöglicht ein Weiterleben und -geben ihrer Lieder.
Die Projektleiterin, Ethnomusikologin und Gründerin des MMRC, Ursula Hemetek,begleitete und dokumentierte die künstlerische Entwicklung von Ruža Nikolić-Lakatos mehr als drei Jahrzehnte lang. Dadurch entstand eine tiefe Verbundenheit mit der Familie der Sängerin. Einige Lieder der über 100 Stunden dauernden Tonaufnahmen, die an der Universität archiviert sind, publizierte Ursula Hemetek als Tonträger. Das trug wesentlich zur Bekanntmachung der Lovara-Lieder und der Person Ruža Nikolić-Lakatos unter den gaže, Nicht-Roma, bei. Zusätzlich zu den Aufnahmen von Ursula Hemetek stellt die Sammlung Heinschink, die im Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaftenarchiviert ist, einen Schatz an Tonaufnahmen der Lovara-Lieder seit den 1960ern dar, die großteils noch nicht veröffentlicht wurden.
Ziel der AusstellungRužake gila ist es, die Musik von Ruža Nikolić-Lakatos der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Die Liedtexte, Übersetzungen, musikalischen Transkriptionen und erklärenden Texte zu den Liedern unterstützen dabei den Verstehensprozess. Read the rest of this entry »
Der Aufstand von Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau – Veranstaltungsmitschnitt: Vortrag von Benjamin Ortmeyer (2021)
Am 16. Mai 1944 sollte Auschwitz-Birkenau II – das sogenannte „Zigeunerlager“ –, in dem sich zum damaligen Zeitpunkt noch etwa 6.000 Häftlinge befanden, liquidiert werden. Die inhaftierten Sinti und Roma erfuhren davon und leisteten Widerstand. Sie bewaffneten sich mit Schaufeln, Werkzeugen und dem, was sie finden konnten, und schafften es so, die Liquidierung vorerst zu verhindern. Anlässlich des 77. Gedenktages 2021 berichtet Prof. Dr. Benjamin Ortmeyer in seinem Vortrag über diesen Akt des Widerstands von Sinti und Roma in einem Vernichtungslager. Vorab sind eine Begrüßung durch Rinaldo Strauß und ein Grußwort von Jochen Partsch, Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt, zu sehen. Außerdem gibt es hier auch die Präsentation zum Vortrag.
Die Veranstaltung, die gemeinsam mit dem Roma-Programm des „FXB Center for Health and Human Rights“ der Harvard University (USA), den „Critical Romani Studies“ der Sodertorn University (Schweden) und dem „Yehuda Elkana Center for Teaching, Learning, and Higher Education Research” der CEU (Österreich) organisiert wird, soll eine kritische Diskussion über Programme zur Förderung des Bildungszugangs von Angehörigen unterdrückter Gruppen ermöglichen.
In den meisten europäischen Ländern erhalten Roma-Studierende eine segregierte und qualitativ minderwertige Bildung, die sie entweder davon abhält, weitere Studien zu absolvieren, oder sie zu qualitativ minderwertigen Studien- und Berufswahlmöglichkeiten führt – und damit ihre Ausgrenzung von der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Teilhabe fortsetzt“, sagte die Vorsitzende und akademische Leiterin des „Romani Studies Program der CEU“, Angela Kocze, die bereits Hunderte von Roma-Studierenden unterstützt hat, ihre akademischen und beruflichen Ziele zu erreichen. Read the rest of this entry »
Eveline Diener: Das Bayerische Landeskriminalamt und seine „Zigeunerpolizei“. Kontinuitäten und Diskontinuitäten der bayerischen „Zigeunerermittlung“ im 20. Jahrhundert (=Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte e. V., Band 25), Verlag für Polizeiwissenschaft: Frankfurt am Main 2021 (560 S.)
Die spezifisch genozidale Ausprägung der nationalsozialistischen Verfolgung der „Zigeuner“ fand in der Geschichtswissenschaft und in der medialen Öffentlichkeit erst vergleichsweise spät Beachtung. Dem spielte zu, dass eine entrechtende „Zigeunerpolitik“ und „Zigeunerverfolgung“ lange Zeit als normal angesehen wurde. Diese Problematik wird am Beispiel der für die „Zigeuner“- bzw. „Landfahrerermittlung“ zuständigen Stelle des 1946 gegründeten Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA) untersucht. Hier werden Kontinuitäten sowie Diskontinuitäten in „Zigeunerpolitik“ bzw. „Zigeunerverfolgung“ auf der Zeitschiene „Kaiserreich“, „Weimarer Republik“, „Nationalsozialismus“ und „Nachkriegszeit“ aufgezeigt. Dafür werden zwei Forschungsschwerpunkte zusammengeführt: Die Untersuchung der einschlägigen Vorgeschichte – angefangen vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus – und schließlich die Untersuchung der personellen, inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung der „Zigeuner“- bzw. „Landfahrerstelle“ des Bayerischen Landeskriminalamts der Nachkriegszeit. Hierbei liegt der Fokus auf Prägungen und Laufbahnen der dort tätigen Beschäftigten, auf gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren sowie schließlich auf langfristig geprägten Strukturen und Mentalitäten in „Zigeunerpolitik“ und „Zigeunerermittlung“. Somit leistet die Arbeit eine Forschungsbereicherung auf dem bisher noch wenig untersuchten Gebiet der „Zigeuner“- bzw. „Landfahrerermittlung“.