Antiziganismus in Berlin: Jahresbericht 2017

Mai 7th, 2018  |  Published in Dokumente & Berichte, Medien & Presse, Rassismus & Menschenrechte

Amaro Foro Deutschland

„Roma werden in Berlin massiv diskriminiert“

Amaro Foro e.V. prä­sen­tiert Doku­men­ta­tion anti­ziganis­tisch moti­vier­ter Vor­fälle 2017

Das Dokumentationsprojekt von Amaro Foro hat 2017 252 anti­ziganis­ti­sche und dis­krimi­nie­ren­de Vorfälle in Berlin er­fasst. Darun­ter sind 167 gemel­de­te Vorfälle und 51 dis­krimi­nie­ren­de Medien­berichte, außer­dem 34 Bei­träge aus sozia­len Medien. Die Facebook-Auf­tritte sämt­li­cher Berliner AfD- und NPD-Ver­bände wur­den erst­mals syste­ma­tisch und um­fas­send aus­ge­wer­tet. Darüber hinaus wur­den über 1000 Äußerun­gen in Kom­men­tar­spalten unter Medien­berich­ten aus­gewertet, von de­nen etwa 80 Pro­zent als ras­sis­tisch und sozial­chau­vinis­tisch ein­zu­stufen sind. Bei den ge­melde­ten Vor­fäl­len er­gibt sich im Ver­gleich zum Vor­jahr (146) ein An­stieg von etwa 14 Pro­zent.

„Die Diskriminierung von Roma oder Men­schen, die dafür ge­hal­ten werden, hat 2017 in Berlin weiter zu­ge­nom­men. Dabei ist vor al­lem der Kon­takt zu Leis­tungs­behör­den, wie etwa Job­centern oder Fami­lien­kasse, von einer struk­tu­rel­len Dis­kri­mi­nie­rung ge­prägt eben­so wie von in­divi­duel­lem ras­sis­ti­schem Ver­hal­ten von Be­hör­den­mit­arbei­ter*in­nen“, er­klärt Projekt­ko­or­di­na­torin Diana Botescu. „Das Pro­jekt wurde 2017 er­wei­tert: Neben den bis­her er­fass­ten Lebens­berei­chen wird außer­dem der Kon­takt zu Justiz­behör­den ana­ly­siert und zu Ein­rich­tun­gen freier Träger. Zu­dem konn­ten die Mit­arbei­terin­nen einen bes­se­ren Ein­blick in Dis­krimi­nie­rungs­formen im Bil­dungs­bereich ge­win­nen, da nicht mehr nur Er­eig­nisse in Schulen, sondern außer­dem im Kita­bereich ge­mel­det wur­den.“

„Auch die Situation von Roma-Asylbewer­ber*in­nen aus den West­balkan­staaten hat sich 2017 weiter ver­schlech­tert, ob­wohl die Zahl der Ab­schie­bun­gen ge­sun­ken ist“, be­tont Violeta Balog. „Im Aus­tausch mit Anwälten, Be­hör­den­ver­tre­tern und Aktivis­ten konn­ten wir fest­stellen, dass von den vor Ort zu­stän­di­gen Behörden eine im­mer restrik­ti­ve­re Um­set­zung des Asyl­rechts er­folgt, Spiel­räume kaum noch ge­nutzt und somit struk­turel­le Bar­rie­ren vor al­lem für Roma-Asyl­bewer­ber*in­nen ge­schaf­fen wer­den. Da ihre Anträge als of­fen­sicht­lich un­begrün­det gel­ten, wer­den sie im Schnell­ver­fahren ent­schie­den. Eine sorg­fäl­tige Ein­zel­fall­prüfung ist so kaum noch mög­lich. Das wirkt sich be­son­ders ver­hee­rend aus, weil auch der Zu­gang zu Rechts­bei­stand und un­abhän­gi­ger Bera­tung da­durch er­schwert wird. Wir fordern des­halb, den struk­tu­rel­len Anti­ziganismus in den Her­kunfts­ländern end­lich als Asylgrund an­zu­erken­nen und außer­dem sicher­zu­stel­len, dass die Betrof­fenen fair und um­fas­send be­ra­ten werden.“

„Diskriminierende und stigmatisierende Dar­stel­lun­gen von Roma oder Men­schen, die dafür gehal­ten wer­den, fin­den sich 2017 in knapp der Hälfte der unter­such­ten Medien­berichte. Be­son­ders prob­le­ma­tisch sind die Themen­berei­che Krimi­na­lität und Woh­nungs­losig­keit: Wird in Berich­ten über Krimi­na­lität die Zu­gehö­rig­keit zur Min­der­heit der Roma er­wähnt, führt das in der öf­fent­lichen Wahr­neh­mung zu einer wei­teren Stigma­ti­sie­rung dieser Gruppe, die in Berlin ohne­hin unter einem Pau­schal­verdacht zu ste­hen scheint. Wenn über Wohnungs­losigkeit be­rich­tet wird, wird von Jour­nalist*in­nen und Poli­ti­ker*in­nen häu­fig schnell eine Zu­gehörig­keit zu den Roma unter­stellt, die offen­bar nur auf Zu­schrei­bungen be­ruht. Auch das trägt zur weiteren Ver­festi­gung von Klischees bei“, er­läu­tert Presse­refe­ren­tin Andrea Wierich. „Auf­grund des Ein­zugs der AfD ins Berliner Ab­geord­ne­ten­haus 2016 wur­den für 2017 erst­ma­lig die Face­book-Auf­tritte sämt­li­cher AfD- und NPD-Be­zirks­ver­bände so­wie der Fraktion im Ab­geord­neten­haus sys­te­ma­tisch aus­ge­wer­tet. Hier ist von einer gro­ßen Reich­weite und damit auch Re­so­nanz aus­zu­gehen. Auch hier do­minie­ren die The­men Krimi­na­li­tät und Woh­nungs­losig­keit, wo­durch sich für Roma und Men­schen, die dafür ge­hal­ten wer­den, eine er­höhte Ge­fähr­dung er­gibt: Die NPD be­treibt in­zwi­schen eine syste­ma­ti­sche Agita­tion gegen woh­nungs­lose Men­schen nicht­deut­scher Her­kunft und bil­det so­genann­te Kiez­streifen, wenn in den Medien über Zelt­lager in Grün­anla­gen oder Ähn­li­ches berich­tet wird. Die dort leben­den Men­schen sind so einer er­höh­ten Gefahr rassisti­scher An­griffe aus­ge­setzt.“

Amaro Foro e.V. ist ein interkultureller Jugend­verband von Roma und Nicht-Roma mit dem Ziel, jun­gen Men­schen durch Empower­ment, Mobili­sie­rung, Selbst­organi­sa­tion und Parti­zi­pation Raum zu schaf­fen, um aktiv­e Bür­ger*in­nen zu wer­den. Als junge Roma und Nicht-Roma über­neh­men wir gemein­sam Ver­ant­wor­tung in der Gesell­schaft für Ach­tung und gegen­seiti­gen Respekt. Das Do­kumen­ta­tions­pro­jekt wird von Amaro Foro seit 2014 um­ge­setzt und ist bun­des­weit das einzi­ge Pro­jekt dieser Art. Wir doku­men­tie­ren anti­ziganis­ti­sche Vor­fälle in Berlin in allen Lebens­berei­chen und ver­öffent­li­chen unsere Aus­wertung jedes Jahr. Mit geziel­ter Öffent­lich­keits- und Bil­dungs­arbeit machen wir auf Anti­ziganis­mus auf­merk­sam und sen­sibi­li­sieren poli­tische und soziale Ak­teure eben­so wie die Medien. Das Pro­jekt wird von der Landes­anti­dis­kriminie­rungs­stelle ge­fördert.

(Amaro Foro)

Siehe auch:
Antiziganismus in Berlin: Jahresbericht 2016
„Antiziganistische Angriffe geschehen überall“ – Amaro Foro stell­te Berli­ner Anti­zi­ga­nis­mus-Be­richt 2015 vor

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