Die Politisierung der Unterschiede, Teil 1

Januar 22nd, 2015  |  Published in Interview, Politik, dROMa (Magazin)  |  1 Comment

Norbert Mappes-Niediek (Foto: hinzundkunzt.de)„Arme Roma, böse Zigeuner“ – Interview mit Norbert Mappes-Niediek (zum 2. Teil)

Erschienen in: dROMa 36 (2013)

Warum kommt die Integra­tion der Roma oft nur schlep­pend voran? Sind nicht Armut und Perspek­ti­ven­losig­keit, son­dern der feh­len­de inter­ne Zusam­men­halt und Bil­dungs­hun­ger die Haupt­hin­der­nis­se auf dem Weg in die Gesell­schaft? Anders aus­ge­drückt: Ste­hen sich die Roma vor allem selbst im Weg? Nein, meint Norbert Mappes-Niediek, Südost­europa-Korres­pon­dent nam­hafter Medien und frü­he­rer Berater des UNO-Sonder­beauf­trag­ten für Ex-Ju­gosla­wien, und hält dieser Kul­tura­li­sie­rung des Elends das Kon­zept der „Öko­no­mie der Armut“ ent­gegen, das nicht ein „Roma-Problem“, sondern die Proble­me der Roma zu­tage fördert.

Mappes-Niedieks neues Buch „Arme Roma, böse Zigeu­ner. Was an den Vor­ur­tei­len über die Zuwan­derer stimmt“ ist Fakten­check und Fun­da­men­tal­kritik in einem, nimmt Roma und Nicht-Roma gleicher­maßen wahr und macht Hof­fnung, gerade weil es sich keinen Illu­sio­nen hin­gibt. Michael Teichmann hat mit dem Autor gesprochen:

Herr Mappes-Niediek, was war Ihre Moti­va­tion, ein Buch über Roma zu schreiben?
Norbert Mappes-Niediek: Es ist kein Buch über Roma schlecht­hin, son­dern vor allem ein Buch über die­je­ni­gen Roma aus Rumänien, Bulgarien oder Serbien, die zu­zie­hen und tra­di­tio­nelle Vor­ur­teile, soziale Miss­ver­ständ­nisse und Schwie­rig­keiten im Zusam­men­leben, die man schon für über­wunden glaubte, in west­li­chen Ländern repro­du­zieren. Das Thema ist in den letzten Jahren im­mer wieder poli­tisch hoch­gekocht, und ich habe mir ge­dacht, dass ich etwas zum Ver­ständ­nis bei­tra­gen kann, weil ich die Her­kunfts­länder kenne. Am An­fang ging es mir so, wie es vielen Ost­euro­päern geht: Ich hatte ein Bild über Roma und glaub­te, damit bereits alles zu wis­sen. Jetzt wollte ich dieses Bild auf einen Be­griff brin­gen. Aber je mehr ich ver­sucht habe, es dar­zu­stellen, desto ver­schwom­me­ner wurde es und hat sich dann mehr oder we­ni­ger ganz auf­gelöst. Das, was noch geblie­ben ist, waren die Proble­me dieser Länder: Armut, anti­quier­tes Bil­dungs­wesen, korrup­tes Gesund­heits­system.

Der Untertitel ihres Buches war für mich zu­nächst irri­tie­rend: Was stimmt an den Vor­urtei­len über Roma?
Das Buch ist ein Faktencheck, und bei einem Fak­ten­check geht es vor allem auch darum, dass man Irr­tümer von den Fakten unter­schei­det. Dass es im Umfeld von Armuts­sied­lun­gen Krimina­lität gibt, ist zum Beispiel eine Tat­sache. Das ist unter Roma so und auch unter al­len ande­ren Armuts­com­mu­nities. Natür­lich stimmt das, und dage­gen hilft weder zu sagen, es stim­me nicht, noch, man solle keine Vor­urteile haben. Man hat Vorurteile, man darf sich von ihnen nur nicht gefan­gen neh­men lassen.

Wenn man sich jedoch mit Vor­urtei­len beschäf­tigt und sie nicht auto­nom behan­delt, son­dern mit der Wirk­lich­keit, auf die sich ja beziehen, in Ver­bin­dung setzt, bedeu­tet das für viele bereits eine Grenz­über­schrei­tung. Ich denke so nicht. Auf­grund der Halbie­rung der Sozial­hilfe in Ungarn haben die Leute zum Teil nichts mehr zu essen und holen sich die Hüh­ner bei den Nach­barn. Behaup­tet man nun, dass ja gar keine Hühner gestoh­len wor­den sind, und wenn doch, dann nicht von den Roma, wird man wenig errei­chen. Man muss sagen: „Schaut her, die haben nichts zu essen und des­halb stehlen sie! Wenn ihr nichts hät­tet, würdet ihr ge­nauso han­deln!“ Und diese Nach­barn wis­sen das auch und ver­suchen sich des­halb ein­zu­reden, dass die Roma nur des­halb steh­len, weil sie eben Roma sind. Die „Roma-Kriminalität“ ist ein rie­si­ges Thema, aber wenn man sie in Bezie­hung setzt zu den sozia­len Bedin­gun­gen, ist das Wunder nicht die Krimi­na­li­tät. Das Wunder ist viel­mehr, dass sie nicht viel aus­gepräg­ter ist.

Sie stellen in diesem Zusammen­hang die „Ökonomie der Armut“ der „Ökonomie des Wohl­standes“ gegen­über. Können Sie das kurz er­läu­tern?
Was es in den Roma-Slums sicher nicht gibt, ist eine hohe Bereit­schaft, zu sparen oder zu inves­tie­ren. Kommt jemand zu Geld, gibt er es wie­der aus. Und viele fra­gen sich, warum Roma sol­che Feste feiern, wa­rum sie das Geld nicht zurück­legen und ob sie nicht in Wirk­lich­keit reich wären. Ein ameri­ka­ni­scher Ökonom, Charles Karelis, hat dieses Ver­hal­ten mit dem Grenz­nutzen erklärt: Für den maxi­ma­len Auf­wand, den ich für das Sparen trei­ben muss, errei­che ich nur einen mini­ma­len Effekt. Je elender es einem geht, umso weni­ger bringt einem das Sparen et­was. Das ist ein ein­fa­cher ökono­mi­scher Zusam­men­hang. Karelis il­lustriert die­sen Sach­verhalt mit ei­nem Beispiel aus der Schmerz­for­schung, das be­sagt, dass es für den Schmerz­patien­ten erstre­benswerter sei, an einem Tag ganz schmerz­frei zu sein als an zwei Tagen ein bis­schen. Aus gutem Grund, weil es not­wen­dig ist, sich einmal ganz zu spü­ren. Um­ge­legt auf die Armut bedeutet das, dass ich lieber einmal einen Tag feiere und alles andere ver­gesse als an meh­re­ren Tagen ein biss­chen we­ni­ger arm zu sein.

Sie schildern in Ihrem Buch sehr anschau­lich, dass Armut aus Mit­men­schen auch un­an­ge­nehme Zeit­ge­nos­sen macht. Können Sie die An­rai­ner von Roma-Slums ver­stehen, die weg­ziehen?
Das kann ich verstehen. Und des­we­gen setze ich mich auch so inten­siv damit aus­einan­der. Sonst müsste ich ja sagen, diese An­rainer wären alle Roma-Hasser. Das ist nicht der Fall. Es wer­den ja immer diese Um­fra­gen zitiert, wonach so und so viele Pro­zent nicht mit diesen oder jenen Bevöl­ke­rungs­grup­pen zu­sam­men leben wol­len. Und an der Spitze ste­hen im­mer die Roma. Aber es geht im Wesent­li­chen darum, dass nie­mand mit Ar­mut kon­fron­tiert sein will. Das sollte man nicht ver­mischen.

Bei diesen Umfragen kommt also weni­ger Rassis­mus zum Vor­schein als eine Ab­nei­gung gegen Armut?
Natürlich, was nicht bedeutet, dass aus dieser Ab­nei­gung nicht Rassismus wer­den kann. Leute, die selbst von Ar­mut betrof­fen sind, schie­ben diese von sich weg. Sie möch­ten damit nicht kon­fron­tiert werden. Und hier kommt auch oft Rassis­mus ins Spiel, indem man ver­sucht, die Armut der an­de­ren mit deren Eigen­hei­ten zu erklä­ren. In Rumä­nien und Bul­ga­rien sind auf dem Lande unwahr­schein­lich viele Men­schen von Armut betrof­fen, und die haben eine große Angst davor, ins Elend zu fal­len. Und für die ist es wich­tig zu sagen, die Ar­men seien nicht sie, son­dern die Roma.

Kommt diese Kulturalisierung des Elends auch in der EU-Förder­politik zum Aus­druck? Sie sagen, die EU betrei­be Minder­heiten- und nicht Armuts­politik.
Das ist richtig. Die Projekte sind zwar sel­ten roma­spe­zi­fisch aus­gerich­tet, zumeist sind sie neutral aus­geschrie­ben, aber so­bald es dann darum geht, sie spe­ziell zu designen, kommt das „Roma­typi­sche“ dann doch immer wieder ins Spiel; was zum Beispiel dazu führt, dass Bil­dungs­defi­zite der Roma-Kinder dann eben nicht als ein Armuts­phä­nomen wahr­ge­nom­men, sondern kul­tu­rell erklärt werden. Sug­ge­riert wird, erst wenn die Roma keine Roma mehr wären, wür­den die Proble­me – die soge­nann­ten Roma-Proble­me – auf­hören. Sie er­schei­nen dadurch ange­nehm un­lös­bar. Das ist jetzt sehr zu­gespitzt, es schwingt aber im­mer mit.

Die EU-Politik kämpft auch damit, dass sie inner­halb der Roma-Ge­mein­schaft keine Hierar­chie und keinen zentra­len Ansprech­part­ner vor­findet.
Ja, und des­we­gen spie­gelt sie sich und schafft sich das Gegen­über, das sie nicht hat. Wenn die Mehr­heits­gesell­schaft mit den Roma um­gehen will, muss sie sich die Roma kom­pa­ti­bel machen. Sie muss die Struk­tu­ren, die sie von sich selbst kennt, in den anderen her­vor­bringen. Diese Struk­tu­ren müs­sen letzt­lich auch nicht wirk­lich exis­tie­ren, sie müs­sen nur benenn­bar sein. Eine rich­tige Roma-Zivil­gesell­schaft gibt es eigent­lich nir­gends in Südost­europa, es gibt sie immer nur als Spiegel­bild von staat­lich-euro­päi­schen Struk­turen.

Das Prinzip ist: Es gibt eine Roma-Milliarde, holt euch et­was ab. Man hat aber kei­nen Plan, wie man die Situa­tion der Roma ver­bes­sern soll. Nach dem Prin­zip braucht man auch gar kei­nen Plan; man spricht ein­fach eine Ein­la­dung aus, sich Pro­jekte aus­zu­den­ken und sich etwas zu holen. Die Idee, man schüt­tet Geld drauf und dann wächst etwas, ist auch die Idee der „Roma-Dekade“. Wenn man die Proble­me der Roma als unsere Proble­me, als Armuts­proble­me, auf­fasst, kann man so nicht vor­ge­hen. Man müsste ter­ri­to­rial vor­gehen und zum Beispiel die Infra­struk­tur ver­bessern.

Sie gehen in Ihrem Buch auf ein Projekt in Pata Rât (Ru­mä­ni­en) näher ein, das ein nieder­län­di­sches Ehe­paar betreibt.
Bei diesem Projekt ist der Ansatz gut, weil er von konkre­ten Bedürf­nis­sen aus­geht. Wenn man die Armut in Südost­europa be­kämpfen will, muss man zu­nächst ein Grund­level schaf­fen. Abso­lute Armut muss auch absolut bekämpft wer­den. Jeder hat das An­recht da­rauf, genug zu essen zu haben, ein trocke­nes, war­mes Haus zu haben und seine Kin­der in die Schu­le zu schicken. Erst auf dieser Ba­sis kann sich dann so etwas ent­wickeln wie eine „Öko­no­mie der Bes­ser­gestell­ten“. Dass hier voraus­setzungs­los ge­hol­fen wird, ist das Vor­bild­li­che an die­sem Pro­jekt. Wir ha­ben hier keine Sozial­utopie, son­dern das Projekt ver­hält sich wie die Ant­wort zur Frage und tut das, was die Leute jetzt brau­chen. Es ist keine akti­vie­ren­de Sozial­poli­tik. Es ist ein­fach nur die Erfül­lung von Grund­bedürf­nissen.

Interview: Michael Teichmann, erschienen in: dROMa 36 (Winter/Frühling | Dschend/Terno linaj 2013)

Norbert Mappes-Niediek: Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vor­ur­tei­len über die Zuwan­derer stimmt, Ch.-Links-Verlag, Berlin 2012, 208 S., ISBN: 978-3-86153-684-0 (Link)

Responses

  1. dROMa-Blog | Weblog zu Roma-Themen | Die Politisierung der Unterschiede, Teil 2 says:

    Januar 23rd, 2015 at 12:14 (#)

    [...] Zweiter Teil des Interviews mit Norbert Mappes-Niediek (zum 1. Teil) [...]