Die Politisierung der Unterschiede, Teil 2

Januar 23rd, 2015  |  Published in Interview, Politik, dROMa (Magazin)  |  1 Comment

Norbert Mappes-Niediek (Foto: okto.tv)Zweiter Teil des Interviews mit Norbert Mappes-Niediek (zum 1. Teil)

Erschienen in: dROMa 37 (2013)

Vor Kurzem erschien im Ch.-Links-Verlag das viel­beach­tete Buch „Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vor­urteilen über die Zuwan­derer stimmt“. Michael Teichmann hat sich mit dem Autor Norbert Mappes-Niediek über die Frage eth­ni­scher Iden­ti­tät und poli­ti­scher Eman­zi­pa­tion unter­hal­ten. Und die Schluss­folge­run­gen, zu denen der Südost­europa­experte ge­langt, ha­ben es in sich – und ge­ben einen wich­tigen An­stoß, sich in euro­päi­scher Perspek­tive auch grund­sätz­li­che Fragen zur Volks­grup­pen­politik zu stel­len. Lesen Sie im Fol­genden den zwei­ten Teil des Inter­views:

Herr Mappes-Niediek, Sie waren 1995 unmittel­bar nach dem Attentat in Ober­wart. Wel­che Erfah­run­gen ha­ben Sie dort ge­macht?
Als ich vom Attentat erfahren habe, bin ich in die Sied­lung ge­fah­ren. Die Leute waren auf­geregt und schockiert, zum Teil völlig schweig­sam, zum Teil abso­lut redselig. Es waren sehr viele Jour­na­lis­ten da. Ich bin dann nach Oberwart in die Stadt ge­fah­ren und habe mich da um­gehört. Ich hatte die Erwar­tung, dass die Leute gleich­gültig oder feind­selig wären. Das war aber nicht der Fall, nie­mand hat etwas Böses gegen die Roma ge­sagt. Im Gegen­teil, sie wollten etwas Nettes sagen und meinten, dass die Roma ja perfekt in­tegriert seien. Und das fand ich interes­sant, da habe ich zum ersten Mal etwas über Integra­tion gelernt. Dass die Roma perf­ekt integriert seien, war als Kompli­ment ge­meint, aber ein Urteil darü­ber, ob je­mand in­tegriert sei oder nicht, müss­te doch der zu In­tegrie­ren­de ab­ge­ben, und nicht der­jenige, der integriert.

Im Burgenland stand die Förde­rung der ethni­schen Identität am Be­ginn der In­tegra­tion. Darin sah man die not­wen­dige Voraus­set­zung für so­zi­ale Ver­än­de­rungen. Und ver­gleicht man die heu­tige Situa­tion der Bur­gen­land-Roma mit jener vor zwan­zig Jahren, kann man durch­aus von einem erfolg­rei­chen Konzept sprechen.
Ja, weil man keine Autonomie­politik betrie­ben und die ethni­sche Identität nicht als Mittel zur Poli­ti­sierung der Unter­schiede ge­nom­men hat. Die Beto­nung der Identität war allen­falls Mittel, um das Selbst­bewusst­sein der Betrof­fe­nen zu heben, eine psy­cho­lo­gi­sche Krücke zu schaffen. Ethnische Iden­tität hat einen sehr wich­tigen Sinn, wo sie Stolz schafft, wo sonst das Roma­sein mit Scham ver­bun­den ist. Roma schä­men sich oft dafür, Roma zu sein, und inter­na­li­sie­ren auch die Vor­urteile der an­de­ren. Man kann von Roma auch sehr böse Mei­nun­gen über an­dere Roma hören. Das ist natürlich kontra­pro­duk­tiv, weil es auch der indi­vi­duel­len Eman­zi­pa­tion im Wege steht. Nie­mand soll sich für seine Her­kunft schämen müssen. Das muss geleis­tet werden, und des­wegen ist Identi­täts­pflege auch nicht un­sin­nig. Aber zu mei­nen, das sei der Weg, um die Roma aus ihrem Elend zu füh­ren, ist falsch.


Wohin führt ethnische Identitätspolitik? Sie führt, wenn man sie wei­ter­denkt, zu For­de­run­gen nach Auto­no­mie, und Autonomie steht zur Integra­tion in einem Span­nungs­ver­hält­nis. In der Auto­nomie­politik geht es nicht mehr nur um Selbst­bewusst­sein, son­dern auch um Selbst­vertre­tung und Selbst­verwal­tung. Das sind die nächs­ten Schritte. Und diese Schrit­te würde ich nicht gehen, weil es dann irgend­wann heißt: „Ihr seid Roma und wollt eine eigene Nation sein? Dann küm­mert euch auch darum, eure Ver­hält­nis­se in Ord­nung zu bringen! Wieso sollen wir dann für euch zahlen?“ Solche For­de­run­gen kann man jetzt schon hundert­fach im Internet lesen. Eine Nation ist auch eine wirt­schaft­liche Ver­tei­lungs­gemein­schaft. Sich davon aus­zu­klinken, ist für eine von Armut geprägte Grup­pe sicher kein Weg.

Bedeutete die Anerkennung als Volks­gruppe nicht bereits eine Poli­ti­sie­rung der Unter­schiede?
Ja, aber es kommt darauf an, in welchem Staat das pas­siert. Es gibt Staaten, wo das keine Rolle spielt. Deutsch­land zum Bei­spiel. Deutsch­land hat kei­ne viel­völker­staat­liche Tradition und eigent­lich auch kein Konzept für Minder­heiten. Nie­mand weiß, was das eigent­lich sein sollte. Wegen einer OSZE-Empfeh­lung hat man in Deutschland 1995 Sinti und Roma als Min­der­heit anerkannt. Das hatte aber keine prak­ti­schen Kon­sequen­zen. Öffent­lich finan­ziert wur­den Ein­rich­tungen wie der Zentral­rat Deutscher Sinti und Roma schon vor­her, aber es gibt keine geför­derte Auto­no­mie, zum Bei­spiel kei­nen Unterricht in Roma­nes. Das ver­lan­gen die deutschen Sinti und Roma auch gar nicht. Die An­er­ken­nung als autoch­thone deutsche Minder­heit hat nur auf einer symbo­lischen und psycho­logi­schen Ebene eine Bedeu­tung. In südost­euro­päi­schen Ländern hat die Volks­gruppen­anerken­nung jedoch sehr wohl eine konkrete Be­deutung.

In Österreich auch: Es gibt geförderte zwei­spra­chige Zeit­schrif­ten, Romani-Unter­richt etc.
Das soll es auch geben. Die Frage ist, ob diese För­de­rung an Identität ge­koppelt werden muss. Das pas­siert in Österreich zum Teil, zum Teil auch nicht. Zum Beispiel werden die Slo­wenen durch ihre Ver­bände ver­treten, aber nie­mand ist in der Lage zu sagen, wer Slowene sei und wer nicht. Es gibt keine Fest­stellung einer slo­weni­schen Identität in irgend­einer Form. Das heißt, die Ver­bände haben Minderheiten­status, nicht aber die Slo­we­nen an sich. Die Slowenen an sich gibt es nicht als Körper­schaft, und so ähn­lich ist es auch bei den Roma.

Die Frage, wer ein Rom sei, kann man nur un­befrie­di­gend beant­worten?
Ethnizität ist eine subjektive und eine kollek­tive Kate­gorie. Und dieses Sowohl-als-auch kennen wir nicht, das ist uns fremd. Wir kennen subjek­tive, indivi­duelle Kate­gorien und wir kennen objek­tive, über­indivi­duelle Kate­gorien. Christ ist, wer von sich sagt: Ich bin Christ – das ist eine sub­jektive, indi­vi­duel­le Kate­gorie. Aber ich wer­de nicht da­durch zum Chine­sen, dass ich sage, ich sei einer. Die anderen Chine­sen müssten mich schon auch als einen der Ihren aner­ken­nen. Um­gekehrt darf ich auch nicht einem eine Identität auf­drücken, die er nicht haben will. Wenn ich Staats­bürger Österreichs bin, aber zuhause Slo­we­nisch gesprochen habe, darf nie­mand sagen, dass ich eigent­lich kein Öster­rei­cher, son­dern Slowene wäre.
In England ist Ethnizität eine Sonder­kategorie. Es gibt Ein­wan­derer­gruppen, die auch nach der Natura­lisie­rung „ethnisch“ sind, das ist per se Minder­heit. Aber die Nation selbst, das Briten­tum, wird nicht ethnisch ver­standen. In Frankreich geht man noch darüber hinaus und sagt: „Wir sind alle Fran­zo­sen“ – egal, ob wir aus Paris, dem Elsass oder von der Insel Mar­tinique stam­men. Es gibt dort kon­sequen­ter­weise auch keine positive Diskri­mi­nie­rung. In Öster­reich und vor allem in vielen ost­euro­päi­schen Ländern ist das anders. Dort ist Ethnizität eine selbst­stän­dige Kategorie, die neben der Nationa­lität steht. In Ungarn ist man ethni­scher Ungar oder Slowake oder Deutscher.

Wer ist jetzt Ihrer Meinung nach ein Rom?
Ein Rom ist der, der sich als solcher defi­niert. Das ist eine not­wendige, aber keine hin­rei­chende Bedingung. Ethni­zität sollte frei­willig, selbst­gewählt sein. Ich meine aber, wir brau­chen die Kategorie Ethni­zität nicht; sie ist auch über­all im Schwin­den begriffen.

Das heißt, in einem demokratiepolitisch fort­ge­schrit­ten­en Euro­pa bräuchte es keine Ethni­zität und auch keine Volks­grup­pen­politik?
Es darf das alles geben, auch Ethnizität. Aber sie wäre Privat­sache oder Folklore und sicher nicht das Konstruk­tions­prinzip des Staates oder der Gesell­schaft. In Ost­europa ist aber Minder­heit ein Rechts­status. In der öffent­li­chen Mei­nung des Westens gilt das paradoxer­weise manch­mal als vor­bild­lich. Man lässt außer Acht, dass die ver­schie­de­nen Nationen sehr unter­schied­liche Begriffe von sich selbst und da­mit auch ganz unter­schied­liche Tradi­tio­nen haben. Es gibt ja die berühmte Minder­heiten­empfeh­lung des Europa­rates, die alle euro­päi­schen Staaten unter­schrie­ben haben, bis auf die Türkei und Fran­kreich. Frank­reich kennt das ethni­sche Prinzip ein­fach nicht. Die Türkei tut so, als kenne sie es nicht, um so die Domi­nanz der ethni­schen Türken zu begrün­den, und betreibt eine als staats­bürger­liches Denken ver­klei­dete Assimilations­politik. Natür­lich gibt es auch in Frankreich ethni­sche Auf­fassun­gen, aber sie fin­den keinen recht­lichen Nieder­schlag. Und das ist im Grunde ver­nünftig. Der Staat soll allen unab­hängig von ihrer Her­kunft gleiche Teil­habe garan­tie­ren. Er sollte keine Unters­chiede machen.

Es ist also nicht Aufgabe des Staates, Volks­gruppen­sprachen zu schützen?
Es soll nicht das kollektive Recht einer Volks­gruppe auf Schutz ihrer Sprache geben, wohl aber ein all­gemei­nes Staats­ziel, Sprachen und Vielfalt zu unter­stützen. Das ist ein großer Unter­schied. Es geht nicht um das indivi­duel­le Recht eines Minderheiten­an­ge­hö­rigen, seine Sprache gefördert zu bekom­men, sondern um das all­ge­mei­ne Staatsziel, Viel­falt zu ermög­li­chen. Umwelt­schutz ist ja auch nicht das Recht einer Pflanze oder einer Tier­art, ge­schützt zu werden, sondern ein abstrak­tes Staats­ziel. Das kann auch mit Sprache pas­sie­ren. Der Vor­teil ist: Zwi­schen Sprache und Iden­tität muss es kei­nen Zusam­men­hang geben. Ein gu­tes Beispiel dafür ist das slo­wenische Gym­na­sium in Kärnten. Dort gehen jetzt auch viele hin, die von Haus aus gar nicht Slo­wenisch spre­chen. Sprache ist dort jetzt von Identität prin­zipiell ent­koppelt. Ein anderes, noch bes­seres Beispiel ist die dänisch­spra­chige Minderheit in Schleswig-Holstein. Diese hat sich von ihrer ethni­schen Iden­tität völlig ver­ab­schiedet und be­haup­tet nicht mehr, Dänen zu sein, son­dern sagt: „Wir sind Süd­schles­wiger und kom­men aus einem Gebiet, in dem traditio­nell zwei Spra­chen gespro­chen werden.“ Sie wurden eine poli­tische Gruppe mit einem poli­ti­schen Ziel, näm­lich diesen Spirit der Öff­nung Deutschlands gegen­über Skan­di­na­vien zu er­halten. Darum geht es. Politi­sche Her­kunfts­gruppen sind in einem plura­lis­tischen Europa fehl am Platz. Politi­sche Kräfte sollen sich nicht nach Her­kunft, sondern in ihren poli­ti­schen Zielen unter­scheiden.

Interview: Michael Teichmann, erschienen in dROMa 37 (Sommer | Linaj 2013)

Norbert Mappes-Niediek: Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vor­ur­tei­len über die Zuwan­derer stimmt, Ch.-Links-Verlag, Berlin 2012, 208 S., ISBN: 978-3-86153-684-0 (Link)

Responses

  1. dROMa-Blog | Weblog zu Roma-Themen | Die Politisierung der Unterschiede, Teil 1 says:

    Januar 23rd, 2015 at 12:18 (#)

    [...] „Arme Roma, böse Zigeuner“ – Interview mit Norbert Mappes-Niediek (zum 2. Teil) [...]