Die Politisierung der Unterschiede, Teil 2
Januar 23rd, 2015 | Published in Interview, Politik, dROMa (Magazin) | 1 Comment
Zweiter Teil des Interviews mit Norbert Mappes-Niediek (zum 1. Teil)
Erschienen in: dROMa 37 (2013)
Als ich vom Attentat erfahren habe, bin ich in die Siedlung gefahren. Die Leute waren aufgeregt und schockiert, zum Teil völlig schweigsam, zum Teil absolut redselig. Es waren sehr viele Journalisten da. Ich bin dann nach Oberwart in die Stadt gefahren und habe mich da umgehört. Ich hatte die Erwartung, dass die Leute gleichgültig oder feindselig wären. Das war aber nicht der Fall, niemand hat etwas Böses gegen die Roma gesagt. Im Gegenteil, sie wollten etwas Nettes sagen und meinten, dass die Roma ja perfekt integriert seien. Und das fand ich interessant, da habe ich zum ersten Mal etwas über Integration gelernt. Dass die Roma perfekt integriert seien, war als Kompliment gemeint, aber ein Urteil darüber, ob jemand integriert sei oder nicht, müsste doch der zu Integrierende abgeben, und nicht derjenige, der integriert.
Ja, weil man keine Autonomiepolitik betrieben und die ethnische Identität nicht als Mittel zur Politisierung der Unterschiede genommen hat. Die Betonung der Identität war allenfalls Mittel, um das Selbstbewusstsein der Betroffenen zu heben, eine psychologische Krücke zu schaffen. Ethnische Identität hat einen sehr wichtigen Sinn, wo sie Stolz schafft, wo sonst das Romasein mit Scham verbunden ist. Roma schämen sich oft dafür, Roma zu sein, und internalisieren auch die Vorurteile der anderen. Man kann von Roma auch sehr böse Meinungen über andere Roma hören. Das ist natürlich kontraproduktiv, weil es auch der individuellen Emanzipation im Wege steht. Niemand soll sich für seine Herkunft schämen müssen. Das muss geleistet werden, und deswegen ist Identitätspflege auch nicht unsinnig. Aber zu meinen, das sei der Weg, um die Roma aus ihrem Elend zu führen, ist falsch.
Wohin führt ethnische Identitätspolitik? Sie führt, wenn man sie weiterdenkt, zu Forderungen nach Autonomie, und Autonomie steht zur Integration in einem Spannungsverhältnis. In der Autonomiepolitik geht es nicht mehr nur um Selbstbewusstsein, sondern auch um Selbstvertretung und Selbstverwaltung. Das sind die nächsten Schritte. Und diese Schritte würde ich nicht gehen, weil es dann irgendwann heißt: „Ihr seid Roma und wollt eine eigene Nation sein? Dann kümmert euch auch darum, eure Verhältnisse in Ordnung zu bringen! Wieso sollen wir dann für euch zahlen?“ Solche Forderungen kann man jetzt schon hundertfach im Internet lesen. Eine Nation ist auch eine wirtschaftliche Verteilungsgemeinschaft. Sich davon auszuklinken, ist für eine von Armut geprägte Gruppe sicher kein Weg.
Bedeutete die Anerkennung als Volksgruppe nicht bereits eine Politisierung der Unterschiede?
Ja, aber es kommt darauf an, in welchem Staat das passiert. Es gibt Staaten, wo das keine Rolle spielt. Deutschland zum Beispiel. Deutschland hat keine vielvölkerstaatliche Tradition und eigentlich auch kein Konzept für Minderheiten. Niemand weiß, was das eigentlich sein sollte. Wegen einer OSZE-Empfehlung hat man in Deutschland 1995 Sinti und Roma als Minderheit anerkannt. Das hatte aber keine praktischen Konsequenzen. Öffentlich finanziert wurden Einrichtungen wie der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma schon vorher, aber es gibt keine geförderte Autonomie, zum Beispiel keinen Unterricht in Romanes. Das verlangen die deutschen Sinti und Roma auch gar nicht. Die Anerkennung als autochthone deutsche Minderheit hat nur auf einer symbolischen und psychologischen Ebene eine Bedeutung. In südosteuropäischen Ländern hat die Volksgruppenanerkennung jedoch sehr wohl eine konkrete Bedeutung.
In Österreich auch: Es gibt geförderte zweisprachige Zeitschriften, Romani-Unterricht etc.
Das soll es auch geben. Die Frage ist, ob diese Förderung an Identität gekoppelt werden muss. Das passiert in Österreich zum Teil, zum Teil auch nicht. Zum Beispiel werden die Slowenen durch ihre Verbände vertreten, aber niemand ist in der Lage zu sagen, wer Slowene sei und wer nicht. Es gibt keine Feststellung einer slowenischen Identität in irgendeiner Form. Das heißt, die Verbände haben Minderheitenstatus, nicht aber die Slowenen an sich. Die Slowenen an sich gibt es nicht als Körperschaft, und so ähnlich ist es auch bei den Roma.
Die Frage, wer ein Rom sei, kann man nur unbefriedigend beantworten?
Ethnizität ist eine subjektive und eine kollektive Kategorie. Und dieses Sowohl-als-auch kennen wir nicht, das ist uns fremd. Wir kennen subjektive, individuelle Kategorien und wir kennen objektive, überindividuelle Kategorien. Christ ist, wer von sich sagt: Ich bin Christ – das ist eine subjektive, individuelle Kategorie. Aber ich werde nicht dadurch zum Chinesen, dass ich sage, ich sei einer. Die anderen Chinesen müssten mich schon auch als einen der Ihren anerkennen. Umgekehrt darf ich auch nicht einem eine Identität aufdrücken, die er nicht haben will. Wenn ich Staatsbürger Österreichs bin, aber zuhause Slowenisch gesprochen habe, darf niemand sagen, dass ich eigentlich kein Österreicher, sondern Slowene wäre.
In England ist Ethnizität eine Sonderkategorie. Es gibt Einwanderergruppen, die auch nach der Naturalisierung „ethnisch“ sind, das ist per se Minderheit. Aber die Nation selbst, das Britentum, wird nicht ethnisch verstanden. In Frankreich geht man noch darüber hinaus und sagt: „Wir sind alle Franzosen“ – egal, ob wir aus Paris, dem Elsass oder von der Insel Martinique stammen. Es gibt dort konsequenterweise auch keine positive Diskriminierung. In Österreich und vor allem in vielen osteuropäischen Ländern ist das anders. Dort ist Ethnizität eine selbstständige Kategorie, die neben der Nationalität steht. In Ungarn ist man ethnischer Ungar oder Slowake oder Deutscher.
Wer ist jetzt Ihrer Meinung nach ein Rom?
Ein Rom ist der, der sich als solcher definiert. Das ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Ethnizität sollte freiwillig, selbstgewählt sein. Ich meine aber, wir brauchen die Kategorie Ethnizität nicht; sie ist auch überall im Schwinden begriffen.
Das heißt, in einem demokratiepolitisch fortgeschrittenen Europa bräuchte es keine Ethnizität und auch keine Volksgruppenpolitik?
Es darf das alles geben, auch Ethnizität. Aber sie wäre Privatsache oder Folklore und sicher nicht das Konstruktionsprinzip des Staates oder der Gesellschaft. In Osteuropa ist aber Minderheit ein Rechtsstatus. In der öffentlichen Meinung des Westens gilt das paradoxerweise manchmal als vorbildlich. Man lässt außer Acht, dass die verschiedenen Nationen sehr unterschiedliche Begriffe von sich selbst und damit auch ganz unterschiedliche Traditionen haben. Es gibt ja die berühmte Minderheitenempfehlung des Europarates, die alle europäischen Staaten unterschrieben haben, bis auf die Türkei und Frankreich. Frankreich kennt das ethnische Prinzip einfach nicht. Die Türkei tut so, als kenne sie es nicht, um so die Dominanz der ethnischen Türken zu begründen, und betreibt eine als staatsbürgerliches Denken verkleidete Assimilationspolitik. Natürlich gibt es auch in Frankreich ethnische Auffassungen, aber sie finden keinen rechtlichen Niederschlag. Und das ist im Grunde vernünftig. Der Staat soll allen unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Teilhabe garantieren. Er sollte keine Unterschiede machen.
Es ist also nicht Aufgabe des Staates, Volksgruppensprachen zu schützen?
Es soll nicht das kollektive Recht einer Volksgruppe auf Schutz ihrer Sprache geben, wohl aber ein allgemeines Staatsziel, Sprachen und Vielfalt zu unterstützen. Das ist ein großer Unterschied. Es geht nicht um das individuelle Recht eines Minderheitenangehörigen, seine Sprache gefördert zu bekommen, sondern um das allgemeine Staatsziel, Vielfalt zu ermöglichen. Umweltschutz ist ja auch nicht das Recht einer Pflanze oder einer Tierart, geschützt zu werden, sondern ein abstraktes Staatsziel. Das kann auch mit Sprache passieren. Der Vorteil ist: Zwischen Sprache und Identität muss es keinen Zusammenhang geben. Ein gutes Beispiel dafür ist das slowenische Gymnasium in Kärnten. Dort gehen jetzt auch viele hin, die von Haus aus gar nicht Slowenisch sprechen. Sprache ist dort jetzt von Identität prinzipiell entkoppelt. Ein anderes, noch besseres Beispiel ist die dänischsprachige Minderheit in Schleswig-Holstein. Diese hat sich von ihrer ethnischen Identität völlig verabschiedet und behauptet nicht mehr, Dänen zu sein, sondern sagt: „Wir sind Südschleswiger und kommen aus einem Gebiet, in dem traditionell zwei Sprachen gesprochen werden.“ Sie wurden eine politische Gruppe mit einem politischen Ziel, nämlich diesen Spirit der Öffnung Deutschlands gegenüber Skandinavien zu erhalten. Darum geht es. Politische Herkunftsgruppen sind in einem pluralistischen Europa fehl am Platz. Politische Kräfte sollen sich nicht nach Herkunft, sondern in ihren politischen Zielen unterscheiden.
Interview: Michael Teichmann, erschienen in dROMa 37 (Sommer | Linaj 2013)
Norbert Mappes-Niediek: Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt, Ch.-Links-Verlag, Berlin 2012, 208 S., ISBN: 978-3-86153-684-0 (Link)
Januar 23rd, 2015 at 12:18 (#)
[...] „Arme Roma, böse Zigeuner“ – Interview mit Norbert Mappes-Niediek (zum 2. Teil) [...]