Nachkriegsjustiz: das Schandurteil von 1956

März 15th, 2015  |  Published in Geschichte & Gedenken, Recht & Gericht  |  1 Comment

Deutschland: BGH-Präsidentin verurteilt rassistisches SchandurteilDeutschland: Der Bundesgerichtshof distanziert sich erst­mals von einem folgen­schwe­ren Urteil von 1956, das NS-Opfer zu Ver­bre­chern stem­pelte

Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat sich ver­gan­ge­nen Don­ners­tag mit deut­li­chen Worten von einem rassistischen Urteil aus dem Jahr 1956 distanziert. Man könne sich für diese Recht­sprechung nur schä­men, erklärte BGH-Prä­si­den­tin Bettina Limperg an­läss­lich eines Besuches im Doku­men­ta­tions­zentrum deut­scher Sinti und Roma. Am 7. Jänner 1956 hatte ein Urteil des Gerichtes Sinti und Roma, die Opfer des NS-Regimes wa­ren, Entschä­di­gungen verwehrt, weil die national­sozia­lis­tische „Zigeuner­verfolgung“ bis 1943 nicht rassistisch moti­viert, son­dern Teil der „üblichen polizei­li­chen Präventiv­maß­nahmen“ zur „Bekämpfung der Zigeuner­plage“ gewe­sen sei. Die Ver­fol­gung und Zwangs­maß­nahmen seien dem­nach lediglich als Instru­mente der Krimi­na­li­täts­bekämpfung zu sehen. In der Urteils­begrün­dung des BGH heißt es unter Ver­weis auf die ver­meint­liche „Eigenart“ dieses Volkes:

Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, beson­ders zu Dieb­stäh­len und Betrü­gerei­en, es fehlen ih­nen viel­fach die sitt­li­chen Antriebe zur Ach­tung von frem­dem Eigen­tum, weil ihnen wie primi­tiven Ur­menschen ein un­ge­hemm­ter Okku­pa­tions­trieb eigen ist.

Zudem rechtfertigte die Nachkriegsjustiz die NS-Po­litik gegen Sinti und Roma mit an­geb­li­chen „militärischen“ Erfor­der­nissen. Zwangs­maß­nah­men gegen die Minder­heit seien nötig gewe­sen, um herum­ziehende „Zigeuner“ daran zu hin­dern, Spionage zu trei­ben.

„Der BGH übernahm damals die Recht­fer­ti­gungs­strategie der National­sozialisten und deren dema­go­gische Hetze“, kriti­sierte Romani Rose, der Vor­sitzende des Zentral­rats der Sinti und Roma, im Oktober auf einer Ver­anstal­tung in Karlsruhe. Er forderte eine Distan­zierung von diesem Ur­teil: „Wir wür­den es sehr begrüßen, wenn eine solche Erklä­rung – in welcher Form auch immer – heute mög­lich wäre.“

Das Urteil von 1956 wurde erst 1963 relatviert, als der BGH aner­kannte, dass auch die Ver­fol­gung der Sinti und Roma vor 1943 rassistisch begrün­det sein könne. Damit waren nun über­leben­de Sinti und Roma nicht mehr grund­sätzlich von Opfer­entschä­di­gungen aus­geschlos­sen. Eine explizite inhalt­liche Distan­zie­rung von dem Urteil von 1956 erfolgte aber nicht. Auch das neue Urteil des BGH hielt an der ver­meint­lich polizeilichen Begrün­dung der natio­nal­sozia­lis­ti­schen „Zigeuner­verfol­gung“ fest; mög­liche rassen­ideo­lo­gische Motive wurden dieser ledig­lich an die Seite ge­stellt.

(dROMa)

Responses

  1. dROMa-Blog | Weblog zu Roma-Themen | „Lästige Zigeuner“: Erlass gegen KZ-Überlebende says:

    März 27th, 2015 at 12:25 (#)

    [...] Siehe auch: Nachkriegsjustiz: das Schandurteil von 1956 [...]