Die Kriminalpolizei im „Dritten Reich“

September 8th, 2024  |  Published in Einrichtungen, Geschichte & Gedenken, Literatur & Bücher, Wissenschaft

StegererEberhard Stegerer: Die Kriminalpolizei im „Dritten Reich“: Dr. Bern­hard Weh­ner – ein poli­tisch un­ab­hän­gi­ger Ex­perte des Reichs­kri­minal­polizei­amtes? Pub­li­ka­tio­nen im Kon­text der Nach­kriegs­nar­ra­tive und -kon­ti­nu­i­täten in der Kriminal­polizei der Bun­des­­repub­lik Deutsch­land, Cvil­lier Ver­lag: Göt­tin­gen 2023 (348 S.)

Die Verbrechensbekämpfung gehörte nicht zu den zentralen Politik­feldern des national­sozialis­ti­schen Re­gimes, trotz­dem zählte die Kriminal­polizei „zum Kern und Macht­zentrum“ dieses völki­schen Maß­nahmen­staates. Die Kontrolle der Krimi­nalität und die Ver­fol­gung von so­ge­nann­ten ‚Berufs­ver­brechern‘ und sozialen Rand­gruppen waren wesent­liche Ele­mente natio­nal­sozialis­ti­scher Gesell­schafts­politik. Eine von Himmler 1937 zentra­li­sierte, im Reichs­kriminal­polizei­amt (RKPA) ver­reich­lichte und 1939 in das Reichs­sicherheits­haupt­amt (RSHA) in­tegrierte Kriminal­polizei wurde ein wirkungs­volles Werk­zeug des NS-Staates und voll­zog Maß­nahmen zur ,Vor­beu­genden Ver­brechens­be­kämpfung‘ zum Schutz der national­sozialis­tischen ‚Volks­gemeinschaft‘, vor allem auch zum Schutz ihrer ver­meintli­chen biolo­gischen Substanz. In diesem Rahmen wurden sowohl im Deutschen Reich als auch in den von der Deutschen Wehrmacht okku­pierten Gebieten rund 110.000 Men­schen von der Kriminal­polizei als ‚Ver­brecher‘ oder ‚Asoziale‘ in Kon­zentra­tions­lager deportiert, wo meh­rere Zehn­tausend den Tod fanden. Zudem ver­schleppte die Kriminal­polizei weit über 40.000 Sinti und Roma, die fast alle in der Folge umkamen. Die Deporta­tionen wären ohne die Kriminal­polizei nicht möglich gewesen, sie wurde damit auch in den Einsatz­gruppen der Ge­heimen Staats­polizei (Gestapo) und des Sicher­heits­dienstes (SD) zum Voll­strecker der national­sozialis­tischen Ver­nichtungs­politik.

Dr. Bernhard (Bernd) Wehner (1900–1995) war von 1940 bis 1945 als Kriminal­rat (KR) und SS-Haupt­sturm­führer im RKPA Experte im Referat ‚Kapital­ver­brechen‘ tätig und bei­spiels­weise an­lässlich des Atten­tats­ver­suchs auf Hitler am 20. Juli 1944 ein­gesetzt. Wehner, der 1951 wieder in die Kriminal­polizei ein­gestellt und im 1970 als Kriminal­direktor (KD) und Leiter der Kriminal­polizei Düsseldorf pensio­niert wurde, pub­lizierte zwischen 1949 und 1989 um­fang­reich zu­nächst als Jour­nalist des Magazins „Spiegel“ und nach­folgend in der Fach­zeit­schrift „Kriminalistik“ Beiträge zur Geschichte der Kriminal­polizei zwischen 1933–1945 mit dem Narrativ, die Kriminal­polizei sei ohne eigenes Ver­schulden und ohne eigene politische Über­zeugung in die Diktatur geraten und dort lediglich ein Werkzeug der Macht­haber ge­wesen. Die Kriminal­polizei wurde als Täter so zum Opfer und die tat­säch­lichen Opfer blieben reine Objekte kriminal­polizei­licher Maß­nahmen. Dieser Legenden­bildung schlossen sich in den Folge­jahren weitere ehe­malige und in der BRD wieder aktivierte Führungs­kräfte der Kriminal­polizei an, die ver­suchten, Einfluss auf die Ent­wicklung der Nach­kriegs-Kri­minal­polizei in West­deutsch­land zu nehmen, auch auf die Ein­richtung des BKA im Jahr 1951.

(Text: Verlagsinfo)

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