Festveranstaltung: 30 Jahre Anerkennung

Mai 21st, 2023  |  Published in Einrichtungen, Politik, Veranstaltungen & Ausstellungen

Parlament: Roma-Festveranstaltung 2023 (Foto: Parlamentsdirektion/Thomas Topf)1993–2023: 30 Jahre Anerkennung der Roma als Volks­grup­pe in Österreich. Fest­ver­an­stal­tung an­läss­lich des In­ter­­na­tion­a­len Roma-Ta­ges im Par­la­ment

Anlässlich des Internationalen Roma-Tages und des 30-jähri­gen Jubi­läums der An­erken­nung als autoch­thone Volks­gruppe in Österreich fand im Par­lament eine Fest­ver­anstaltung statt. Der als Festredner ge­ladene Vor­sitzende des Zentral­rats Deutscher Sinti und Roma Romani Rose warnte vor einem An­wachsen des Anti­ziganis­mus in Europa, der eine Gefahr für die Gesell­schaft, den Rechts­staat und die Demo­kratie darstelle.

Als Reaktion darauf braucht es für Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka etwa den Abbau von Vor­urteilen durch kon­sequente Bildungs­arbeit. Sobotka sprach sich außerdem so wie alle ande­ren Red­ner:innen für die Er­richtung eines eige­nen Mahnmals zum Gedenken für die in der NS-Zeit er­morde­ten Roma und Sinti aus.

Sowohl Bundesratspräsident Günter Kovacs als auch die für Volksgruppen zu­ständige Minis­terin Susanne Raab be­zeich­neten die An­erkennung der Roma und Sinti als Minder­heit vor 30 Jahren als einen „Meilen­stein öster­rei­chi­scher Min­derheiten­politik“.

In einem Podiumsgespräch diskutierten die Botschafter Tschechiens, Ungarns und der Slowakei mit dem Vor­sitzenden des Volks­gruppen­beirats der Roma Emme­rich Gärt­ner-Hor­vath und der Polito­login Mirjam Karoly über Chancen, Mög­lich­keiten und Ent­wicklun­gen im Sinne einer gedeih­lichen und zu­kunfts­orien­tier­ten Volks­gruppen­politik für Roma und Sinti in Europa.

Kovacs: Anerkennung der Volksgruppe war Meilenstein öster­rei­chi­scher Minder­heiten­politik

„Bis zur Gleichstellung der Roma und Sinti mit anderen Volksgruppen war es ein langer und mühe­voller Weg. Umso wich­tiger war dieser Schritt“, betonte Bundes­rats­prä­sident Günter Kovacs. Die An­erken­nung vor 30 Jahren sei ein „Meilen­stein österrei­chischer Minderheiten­politik“ ge­wesen, in diesem Zu­sam­men­hang beson­ders zu würdigen sei der ver­stor­bene Rudolf Sarközi. Der Bundes­rats­prä­sident zeigte sich über die Ein­führung eines natio­nalen Gedenk­tages am 2. August erfreut und sprach sich für die Er­rich­tung eines zentra­len Orts des Gedenkens für die in der NS-Zeit er­morde­ten Roma und Sinti aus. Wenn das geis­tig-po­liti­sche Klima einer Gesell­schaft mit Spaltung, Aus­grenzung und Hass ver­giftet werde, habe das Par­lament als zentra­ler Ort der Demokratie die Ver­antwor­tung, für ein von gegen­seitigem Respekt ge­tragenes, tolerantes und mensch­liches Mit­einander ein­zu­treten, so Kovacs.

Raab: Roma und Sinti sind fester Bestandteil unserer Gesell­schaft

„Ich habe die Roma und Sinti in Österreich als selbst­bewusste, eigen­ständige und starke Volks­gruppe kennen­gelernt, sie sind ein fester Bestand­teil un­serer Gesell­schaft“, gratu­lierte die für die Volks­gruppen zu­ständige Ministerin Susan­ne Raab zum 30-jäh­rigen Jubiläum in einer Video­botschaft. Die bereits er­reichten Fort­schritte seien er­mutigend, für Raab sind jedoch noch weitere Schritte zur Inklusion, Gleich­berech­tigung und Gedenken der Volks­gruppe zu gehen. „Dis­kriminie­rung und Anti­ziganismus dürfen in Europa und Österreich kei­nen Platz haben“, so die Minis­terin. Auch Raab begrüßte den heuer ein­geführten nationa­len Gedenktag am 2. August. Dieser stelle einen wei­teren „Meilen­stein der Roma-Ge­denk­kultur“ dar.

Rose: Antiziganismus ist nicht mit den europäischen Werten ver­ein­bar

„Der Holocaust an 500.000 Sinti und Roma und 6 Millionen Juden war ein Staats­verbrechen, das akri­bisch geplant und ins Werk ge­setzt wurde“, hielt Key­note-Spea­ker Roma­ni Rose, Vor­sitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, fest. Gedenken und Erinnern habe nichts mit Schuld­über­tragung zu tun, „aber wir sind es der Geschichte schul­dig, das Un­vor­stell­bare der NS-Ver­brechen für unsere aller Zukunft wach­zu­halten .

Obwohl in den letzten Jahren auf politischer Ebene viel erreicht wor­den sei, be­obachte er in vielen Ländern Europas „mit Schrecken“ einen neuen Nationalis­mus und das An­wachsen von Anti­semitismus und Antiziganismus, der seine Wirkungs­mächtig­keit bis heute nicht verloren habe, so Rose. „Die syste­ma­tische Segrega­tion und Ausgrenzung von Roma in ihren Heimat­ländern be­sonders in Mittel- und Ost­europa im Bereich von Wohnen, Bildung, Gesund­heit und Arbeit kommen einer Form von Apartheid gleich“. Dies sei mit den euro­päischen Werten der Menschen­würde nicht ver­einbar. Anti­ziganismus sei „eine Gefahr für unsere ge­samte Gesell­schaft und be­droht unseren Rechts­staat und unse­re Demo­kratie“. Für Rose geht es nicht um Sonder­rechte für Minder­heiten, als Bür­gerinnen und Bürger ihrer Heimat­länder müssten sie jedoch glei­chen Rechte und Chancen be­kommen.

Sobotka: Vorurteile durch konsequente Bildungsarbeit be­kämpfen

Für Nationalratspräsiden Wolfgang Sobotka geht es bei der Bekämpfung des von Romani Rose an­ge­sproche­nen Anti­ziganis­mus vor allem darum, „die kulturell ge­prägten Vor­urteile durch kon­sequente Bildungs­arbeit zu be­kämpfen“. Diese müsse bereits im Kinder­garten be­ginnen. Zudem brauche es das Be­nennen und Aufzeigen von Un­gerechtig­keiten sowie das Schärfen des Be­wusst­seins „über das, was passiert ist“. Auch der Natio­nal­rats­präsident sprach sich neben einem Mahnmal für alle Opfer des National­sozialis­mus ebenfalls für ein eige­nes Denkmal für die Volks­gruppe aus. „Wir müssen Roma und Sinti den Stolz zurück­geben, sich als öster­rei­chische Roma zu fühlen“, so So­botka ab­schließend.

Gärtner-Horvath: Österreich ist ein Musterland

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion unter der Leitung der Politologin Mirjam Karoly hielt der Vor­sitzende des Volks­gruppen­beirats der Roma, Emmerich Gärtner-Horvath, auf eine ent­spre­chende Frage von Karoly fest, er glaube schon, dass Österreich in Bezug auf die Rechte und die Situa­tion der Roma und Sinti ein Musterland sei. Neben der An­erkennung als Minder­heit vor 30 Jahren ist seiner Meinung nach die Ver­schrift­lichung der mündlich tra­dierten Sprache Romani ein wesent­licher Schritt für die Volksgruppe gewesen. Aller­dings fehlen ihm zufolge Pädago­ginnen und Päda­gogen, die die Sprache unter­richten können. Ein europa­weit kodifi­ziertes Romani könnte seiner Meinung nach hier zielführend sei. Gärtner-Horvath wies zudem auf Bildungs- und Lern­betreu­ungs­projekte, zwei­sprachige Medien sowie die Dialog­plattform mit der Politik hin.

Zu den aktuellen Forderungen der Volksgruppe gehört laut Gärt­ner-Hor­vath unter ande­rem ein Mahnmal für die im National­sozialis­mus er­morderten Roma und Sinti, wobei es ihm zufolge in vielen burgen­ländischen Ge­meinden bereits Gedenk­tafeln gebe. Ein europa­weites Problem sieht er darin, dass immer wieder auch Politi­ker:in­nen gegen Roma und andere Minder­heiten hetzen. Dagegen müsse man vor­gehen, mahnte er.

Nach wie vor viele Vorurteile gegen Roma und Sinti in Ost­europa

Der ungarische Botschafter Andor Nagy wies darauf hin, dass sich bei der letzten Volks­zählung 2016 ca. 600.000 ungarische Staats­bür­ger:innen als Roma und Sinti deklariert haben. Es handle sich damit um die größte an­erkannte Minder­heit in Ungarn, betonte er. Trotz der offiziel­len Anerkennung im Jahr 1993 und der Selbst­ver­waltung in mehr als 1.000 Gemeinden gebe es in Ungarn aber nach wie vor viel Anti­ziganis­mus, räumte Nagy ein. Auch sei die Zahl der Schul­ab­brecher:in­nen und die Krimina­ltiät in der Be­völkerungs­gruppe immer noch hoch. Ver­besserung er­wartet er sich nicht zuletzt von der all­gemeinen Lage am Arbeits­markt in Ungarn, auch unter Roma sei die Arbeits­losigkeit zurück­gegangen. Zudem setzt er auf die be­stehende In­klusions­strategie. Nagy machte zudem darauf auf­merksam, dass die Kultur und die Geschichte der Roma seit 2012 zum Curri­culum an Volks­schulen gehöre und es vielfältige Kultur­initia­tiven gebe.

In der Slowakei ist laut Karoly die Segregration im Schul­bereich nach wie vor ein großes Problem. Der slowa­kische Bot­schafter Peter Misik macht dafür nicht zuletzt Vor­urteile in der Bevölkerung mit­ver­antwortlich. Viele Eltern seien skeptisch, ihre Kinder ge­meinsam mit Roma-Kindern unter­richten zu lassen, schilderte er. Am Schul­angebot mangle es nicht. Ver­besserungen erhofft er sich nun durch die Roma-Stra­tegie, die es auch in Tschechien gebe. Zudem wolle man schon bei der Be­treuung von Kleinkindern an­setzen. So sei erst vor kurzem ein Rechts­anspruch auf einen Kindergarten­platz für über Drei­jährige ein­geführt worden, wofür man auch Geld aus dem Wieder­aufbau­fonds der EU nutze. Auch in die Be­schäfti­gung von Roma werde viel in­vestiert. Zudem gebe es ver­schiedene Projekte wie Ge­sund­heits­assis­tent:in­nen.

Über den staatlichen Rückkauf eines Geländes, auf dem während der NS-Zeit ein Sammel­lager für „Zigeuner“ stand und das in den letzten Jahr­zehnten eine Schweine­mast­betrieb beherbergte, be­richtete der Bot­schafter der Tschechi­schen Republik Jiří Šitler. Auf diesem Gelände soll nun ein Mahnmal für die ermor­de­ten Roma gebaut werden. In Europa einzig­artig ist laut Šitler auch das Roma-Mu­seum in Brünn, das die europäi­sche Geschichte der Roma und Sinti doku­men­tiert und von Über­lebenden der NS-Zeit mit­initiiert wurde.

Karoly: Antiziganismus ist in vielen Ländern noch immer weit ver­breitet

Karoly selbst wies darauf hin, dass Roma und Sinti mit zehn bis zwölf Millionen An­gehörigen zu den größten Volks­guppen in Europa ge­hören. Ein erster Erfolg der Roma- und Sinti-Bür­ger­rechts­bewe­gung sei die An­erkennung der Be­völkerungs­gruppe als Minderheit in ver­schiedenen Ländern ge­wesen, betonte sie. Zudem hätten sich viele Länder schon vor 20 Jahren darauf ver­ständigt, Maß­nahmen zur Ver­besserung der Lebens­situation von Roma und Sinti zu setzen, etwa was die Bereiche Bildung, Arbeit, Gesund­heit und Wohnen be­trifft. Trotz eines ent­spre­chen­den Engage­ments seien große Fort­schritte viel­fach aber aus­geblieben.

Man habe die Ressentiments in der breiten Bevölkerung unter­schätzt, sagte Karoly. An­halten­der Anti­ziganis­mus sei eine Barriere für die Ver­besserung der Situa­tion. Nach wie vor seien Roma und Sinti mit Hass­kriminalität kon­frontiert und von Armut be­troffen. Auf die nicht zu­frieden­stel­lenden Er­geb­nisse hat die EU nun mit einer neuen Rahmen­stra­tegie 2020 bis 2030 reagiert. Laut Karoly leben in Ungarn rund 600.000 bis 800.000 Roma und Sinti, in der Slowakei rund 500.000, in Tschechien 200.000 bis 250.000 und in Öster­reich rund 50.000.

Musikalisch umrahmt wurde die Festveranstaltung vom Béla Horváth En­semble.

(Text: Pressedienst der Parlamentsdirektion, 18.5.2023)

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