Ein österreichisches Gelächter
Februar 20th, 2016 | Published in Fundstücke, Geschichte & Gedenken, Rassismus & Menschenrechte
Auszug aus „Novemberpogrom“, einem Text des Wiener Schriftstellers und Historikers Doron Rabinovici (2013):
(…) Der Schriftsteller Franz Fühmann erinnerte sich: „Es muß 1943 gewesen sein, im Sommer, in Wien, in der Rilkezeit, da zeigte die Wochenschau Bilder aus einem Konzentrationslager, und man sah drei Häftlinge mit dem Judenstern, die, offensichtlich Mitte irgendeiner Kette, einander langsam Steine zureichten … Der Kommentator bemerkte, daß die Juden das erste Mal in ihrem Leben arbeiteten, was man ja auch an dem rasanten Tempo ihrer Bewegungen sehe, und das Publikum brüllte vor Lachen, und ich erstarrte, denn man sah Sterbende mit verlöschender Kraft die Arme ausstrecken und Steine von Sterbenden empfangen und Steine an Sterbende weitergeben. Es war ein österreichisches Gelächter; Gelächter meines Heimatlandes“, schrieb Fühmann.
Ist dieses Gelächter heute gänzlich erstorben? Kurz nachdem 1995 im burgenländischen Oberwart vier Roma durch eine Bombe ermordet worden waren, ging in Wels eine als sogenannte Zigeuner verkleidete Gruppe in einem Faschingsumzug mit. Als sie an der Festbühne vorbeizog, da scherzte der Moderator: „Bitte jetzt keine Bomben werfen!“ Die Menge johlte. (…)
Auszug aus: Doron Rabinovici, Novemberpogrom, Programmheft des Burgtheaters zu „Die letzten Zeugen“. 75 Jahre nach dem Novemberpogrom 1938. Ein Projekt von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann, Wien 2013. (pdf-Download des Beitrags)
Siehe dazu auch: Karnevalsphantasien, dROMa-Blog, 4.3.2014