Internationaler Roma-Tag im Parlament

April 9th, 2024  |  Published in Frauenrechte, Politik, Veranstaltungen & Ausstellungen

Roma-Tag 2024 im Parlament: Von links: Tina Friedreich Fachkraft im Sozialbereich – Integrationsprojekte für Roma und Romnja, Teamkoordinatorin für EMRO Arbeitsmarktintegration für Roma und Romnja Csilla Höpfler, Obfrau von Vivaro-Viva Romnja Žaklina Radosavljević, Barbara Karlich, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Tina Friedreich Fachkraft im Sozialbereich – Integrationsprojekte für Roma und Romnja, Mitglied des Volksgruppenbeirates der Roma im Bundeskanzleramt Manuela Horvath (Foto: Parlamentsdirektion/Thomas Topf) Empowerment und Erinnerung: Fest­ver­anstal­tung im Sitzungs­saal des Natio­nal­rats mit Ver­tre­ter:in­nen der Volks­grup­pe der Rom:nja und Sin­ti:zze

Wien (PK) – Unter dem Titel „ROMNJAKraft.Sor Erinnerung – Wandel – Aufbruch“ fand am Montag­nach­mittag im Parlament die bereits tra­ditio­nelle Ver­anstal­tung zum Inter­natio­na­len Roma-Tag statt. Heuer wurde dabei die wich­tige Rolle der Roma-Frauen in der Ent­wick­lung der Volks­gruppe hervor­ge­hoben. Ins­beson­dere wurde auf Bildung und Empower­ment als wichtige Faktoren für die weitere Stärkung der Rechte von Roma-Frauen hin­ge­wiesen. Der zweite inhalt­liche Fokus der Ver­anstal­tung lag auf dem Gedenken an den Porajmos, den Genozid an den euro­päi­schen Roma/Rom­nja und Sinti/Sin­tizze in der Zeit des Natio­nal­sozia­lismus.

Sobotka: Veranstaltung ist Zeichen der Solidarität mit der Volksgruppe

In seinen Eröffnungsworten führte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka aus, dass das österrei­chische Parlament die österrei­chi­schen Volks­gruppen über den gesetz­lichen Rahmen für die Volks­gruppen­arbeit hinaus in viel­facher Weise unter­stütze. Es bemühe sich, sie sichtbar zu machen, ihnen eine Stimme zu geben und Zeichen der Solida­rität zu setzen. Die Soli­darität mit den Rom:nja und Sinti:zze komme durch die heutige Ver­anstal­tung zum Ausdruck, die heuer erfreu­licher­weise genau am 8. April, dem inter­natio­nalen Roma-Tag, statt­finden könne. Sobotka er­innerte daran, dass die Roma-Ge­mein­schaft die größte Minder­heits­gruppe in Europa bildet. Die Heraus­forde­rungen, denen diese Volksgruppe gegen­über­stehe, können laut dem Natio­nal­rats­prä­siden­ten nur durch einen europäi­schen Schulterschluss be­wältigt werden. Zwar sei einiges bereits ge­lungen, viele Fragen seien aber im­mer noch offen.

Die Festveranstaltung betone die Stärke der Roma-Gemeinschaft, diene aber auch dem Erinnern und Gedenken. Als einen der Beiträge des österrei­chi­schen Parlaments, um die Geschichte der Volksgruppe zu einem Teil der österrei­chi­schen Gedenkkultur zu machen, nannte Sobotka die Unter­stützung eines Denkmals für die in der NS-Zeit er­mordeten österrei­chischen Sint:izze und Rom:nja. Auch der Beschluss, den 2. August zum Gedenktag an den Porajmos zu machen, sei ein wichtiges Signal.

Raab: Wichtig, Initiativen von Frauen vor den Vorhang zu holen

Als Frauenministerin freue es sie besonders, dass mit der Fest­ver­anstaltung die Gelegen­heit ergriffen werde, beispiel­hafte Initiativen zum Empower­ment von Romnja und Sintizze vor den Vorhang zu holen, sagte Bundes­minis­terin Susanne Raab in ihren Begrüßungs­­worten. Sie könne mit Freude sagen, dass die Volks­gruppen­arbeit in Österreich ins­gesamt in den letzten Jahren viele Fort­schritte gemacht habe. Sie sei ins­besondere stolz darauf, dass der Anteil der Sendungen in den Volks­gruppen­sprachen im ORF erhöht werden konnte und dass es gelungen sei, Medien in Romanes zu etablieren. Die Arbeit sei damit aber noch lange nicht zu Ende, betonte Raab. Gleich­berech­tigung und die Chance auf ein selbst­bestimmtes Leben seien Anliegen für alle Mit­glieder der Volksgruppe und in beson­derem Maße für Frauen.

Horvath: Stärkung von Frauen der Volksgruppe soll kein Lippen­be­kennt­nis bleiben

Ihre Gedanken zu einem zentralen Thema der Veranstaltung, dem Empower­ment von Frauen in der Volks­gruppe, brachte Manuela Horvath als Mitglied des Volks­gruppen­beirates der Roma im Bundes­kanzler­amt ein. Ihr war es ein beson­deres Anliegen, dass das Thema der Stärkung von Frauen der Roma-Volks­gruppe kein Lippen­bekenntnis bleibt. Aus ihrer Sicht müsse auch der Volks­gruppen­beirat in seiner Arbeit mit gutem Beispiel voran­gehen. Horvath erinnerte an drei Pio­nierinnen, die mit ihrer Arbeit wichtige Grundlagen für die An­er­kennung der Roma und Sinti als autoch­thone Volksgruppe in Österreich gelegt haben. Horvath nannte die Malerin und Schrift­stellerin Ceija Stojka, die Linzer Sinti-Ak­ti­vistin Rosa Gitta Martl sowie die Akti­vistin der ersten Stunde für die Rechte der Burgenland-Roma, Susanne Baranyai.

Zugang zu Bildung als Voraussetzung für Empowerment

Eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Wandel und Aufbruch“ stellte Best-Prac­tice-Beis­piele aus dem Leben von Romnja vor. Aus den Rede­bei­trägen wurde klar, dass Bildung ein Schlüssel zum Erfolg im weite­ren Leben ist, dass aber ins­beson­­dere Kinder der Volks­gruppe mit zahl­reichen Hürden konfrontiert sind. Deutlich wurde auch, dass Vorurteile der Mehrheits­gesell­schaft nach wie vor ein wesent­licher Faktor sind. Hier müsse ein grund­legender Wandel im Bildungs­system statt­finden, so der Tenor der Diskussion.

Csilla Höfler, Caritas Steiermark, berichtete aus den Erfahrungen des Arbeits­markt­integra­tions­pro­jekts EMRO und des Projekts CHAVORE, das vor allem die Schul­bildung von Kindern unter­stützt. Dabei zeige sich immer wieder die Wichtig­keit eines ganz­heit­lichen Ansatzes, der die gesamte Familie ein­be­ziehe, un­ab­dingbar sei.

Žaklina Radosavljević, Obfrau von Vivaro – Viva Romnja, unterstrich die Wichtig­keit eines nieder­schwelli­gen Angebots für Roma-Frauen und ins­beson­dere für Migran­tinnen. Das Beson­dere an der Arbeit des Vereins sei, dass er seine Workshops in Romanes und mit paral­leler Kinder­be­treu­ung anbiete. Damit sei es möglich, Frauen mit Infor­matio­nen zu versorgen, die aus sprach­lichen und sozialen Gründen auch inner­halb ihrer eigenen Gruppe oft isoliert seien und auf kein Netzwerk zurück­greifen könnten. Indem Vertrauen auf­gebaut werde, sei es auch möglich, tabu­isierte Themen an­zu­sprechen, wie sexuali­sierte Gewalt oder Zwangsehen.

Tina Friedreich bestätigte aus ihren Erfahrungen als Mitarbeite­rin bei Roma-Projekten der Caritas Graz die Wichtig­keit der Sprache, um Vertrauen auf­zu­bauen und die Menschen in die Lage zu ver­setzen, über ihre Probleme zu sprechen. Dabei dürfe nicht über­sehen werden, dass die Volks­gruppe sehr in­homogen sei. Rassismus sei ein nach wie vor be­ste­hen­des Problem der Mehr­heits­gesell­schaft.

Alysea Nardai, eine junge Roma-Aktivistin und Elementar­päda­go­gin in Aus­bildung aus Oberwart, be­stätigte aus eigener Erfahrung, dass Rassismus gegen­über Kindern aus Roma-Familien noch in jüngster Ver­gangen­heit im Schulsystem erlebt werden konnte. Eine Folge war, dass die Weiter­gabe der eigenen Minder­heits­sprache an die nächste Ge­neration unter­blieb. Wichtig sei es aus ihrer Sicht daher, dass bereits der Kinder­garten die Roma-Kultur auf positive Weise ver­mittle. Sie sehe als Ver­treterin der Volks­gruppe hier eine beson­dere Aufgabe.

DERLA: Schaffung einer digitalen Erinnerungslandschaft

Zum Thema „Erinnerung: Gedenken an den Porajmos am Beispiel von DERLA Burgenland“ sprach Historiker Herbert Brettl. Er ist Mit­arbeiter von ERINNERN:AT, dem Programm zum Lehren und Lernen über National­sozialis­mus und Holocaust des OeAD, Öster­reichs Agentur für Bildung und Inter­nationa­li­sie­rung. Der Genozid an den Roma und Sinti ist das diesjährige Schwer­punkt­thema von ERINNERN:AT. Porajmos heißt „das Ver­schlingen“ auf Romanes und be­zeichnet den Völkermord an Roma und Sinti in der Zeit des National­sozia­lismus. Das Projekt DERLA ist eine öster­reich­weite „digitale Er­inne­rungs­landschaft“ für orts­bezo­genes und medien­ge­stütztes Lernen sowohl im digitalen Raum als auch vor Ort. Mit diesem inter­diszip­li­nären Dokumen­tations- und Ver­mitt­lungs­projekt, das kon­tinu­ierlich erweitert wird, erfolgt eine kritische Aus­einander­setzung mit dem National­sozia­lismus. Doku­mentiert werden Erin­nerungen an die Opfer und Orte des Terrors des National­sozia­lismus. Zu den vier zentralen Ele­men­ten des Projekts zählen die inter­aktive Karte der Erin­nerung, das Archiv der Namen, Wege der Erinnerung als digitale Rundgänge sowie schulische Ver­mittlungs­arbeit zur Entwicklung eines Ge­­schichts­bewusst­seins, so Brettl.

Im Burgenland wurden bisher 242 Erinnerungszeichen – dazu zählen beispiels­weise Denkmäler und Gedenk­tafeln – er­richtet. Davon sind 28 Zeichen dezidiert dem Genozid an Roma und Sinti ge­widmet. Jahrzehnte­lang seien sie nicht als Opfer des National­sozialis­mus anerkannt worden, so Brettl. Die meisten Er­innerungs­zeichen wurden daher erst in den ver­gangenen zehn Jahren realisiert. Derzeit gebe es gute Gespräche zur Er­rich­tung weiterer Erinnerungs­zeichen, die in vielen Ge­­meinden derzeit noch fehlen. Im Jahr 1937 gab es im Burgenland rund 8.447 Roma und Romnja, von ihnen über­lebten nur rund 500 die fol­genden Kriegs­jahre.

Podiumsgespräch mit Vertreter:innen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS

Beim anschließenden Podiumsgespräch mit Moderatorin Barbara Karlich waren Vertreter:innen aller Parla­ments­frak­tionen am Wort. Aus ge­sund­heit­lichen Gründen musste die Ver­treterin der FPÖ ihre Teilnahme an der Ver­anstaltung ab­sagen.

Der Völkermord an den Roma und Sinti sei erst sehr spät oder gar nicht auf­ge­arbeitet worden, sagte Nikolaus Berlakovich (ÖVP). Wichtig sei es, sich mit der Ver­gangen­heit aus­einander­zu­setzen und in die Zukunft zu blicken. Man dürfe nicht aufhören oder müde werden weiter­zu­arbeiten. Wichtig sei es, Be­wusst­sein zu schaffen und damit das Denken zu verändern. Eine Arbeits­gruppe arbeite derzeit an der Um­setzung einer natio­nalen Ge­denk­stätte für Roma und Sinti in Wien, so Berlakovich.

Völkermord bedeute entsetzliches Leid und das Vernichten einer Kultur, erinnerte Harald Troch (SPÖ). In den Jahr­zehnten nach dem Zweiten Weltkrieg seien Roma mit vielen Formen der Dis­kriminie­rung kon­frontiert gewesen, worunter be­sonders die Kinder zu leiden hatten. Daher sei das Lernen in gemein­samen Schulen zentral, wobei den Sprachen der Volks­gruppen dabei eine zentrale Rolle zu­kom­men solle. Die Sprachen der Volks­gruppen sollten nicht nur als Zweit­sprachen unter­richtet werden, sondern auch in anderen Fächern zur An­wendung kommen. Auch die Musik der Volks­gruppen, sollte im Regelschul­wesen Nieder­schlag finden, forderte Troch.

Bildung allein könne Rassismus nicht bekämpfen. Doch Bildung trage dazu bei, dass es auf der anderen Seite Men­schen gebe, die sich gegen Rassismus wehren können, sagte Eva Blimlinger (Grüne). Sie sprach sich zudem für die Stärkung der Volks­gruppen­rechte aus und forderte in diesem Sinne für Volks­gruppen­beiräte nicht nur An­hörungs- sondern „klare Mit­bestimmungs­rechte“. Sie setze darauf, dass das in der nächsten Legis­­latur­periode erfolgen werde, so Blim­linger. Zudem solle im nächsten Kura­torium des Nationalfonds die Errichtung des bereits an­gespro­chenen Mahnmals voran­ge­trieben werden. Dieses werde am Schmerlingplatz in Wien ent­stehen, dazu gebe es eine Eini­gung, so Blimlinger.

Es müsse die Frage diskutiert werden, ob nicht allen Volksgruppen „mehr Macht“ gegeben werde sollte, betonte Michael Bernhard (NEOS) und schlug bei­spiels­weise die Etablie­rung eines Volk­gruppen­aus­schusses im Parlament vor. Die Ver­treter:in­nen der Volks­gruppen müssten er­mächtigt werden, selbst Ent­schei­dungen zu treffen, zudem bedürfe es im Hin­blick auf die Förderung der Volks­gruppen neuer Strukturen im Bildungs­system, so Bernhard.

Für die musikalische Umrahmung der feierlichen Veranstaltung sorgte die Leon Berger Band aus Oberwart mit Musik der Roma.

(Text: Parlamentskorrespondenz)

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