Internationaler Roma-Tag im Parlament
April 9th, 2024 | Published in Frauenrechte, Politik, Veranstaltungen & Ausstellungen
Empowerment und Erinnerung: Festveranstaltung im Sitzungssaal des Nationalrats mit Vertreter:innen der Volksgruppe der Rom:nja und Sinti:zze
Wien (PK) – Unter dem Titel „ROMNJAKraft.Sor Erinnerung – Wandel – Aufbruch“ fand am Montagnachmittag im Parlament die bereits traditionelle Veranstaltung zum Internationalen Roma-Tag statt. Heuer wurde dabei die wichtige Rolle der Roma-Frauen in der Entwicklung der Volksgruppe hervorgehoben. Insbesondere wurde auf Bildung und Empowerment als wichtige Faktoren für die weitere Stärkung der Rechte von Roma-Frauen hingewiesen. Der zweite inhaltliche Fokus der Veranstaltung lag auf dem Gedenken an den Porajmos, den Genozid an den europäischen Roma/Romnja und Sinti/Sintizze in der Zeit des Nationalsozialismus.
Sobotka: Veranstaltung ist Zeichen der Solidarität mit der Volksgruppe
In seinen Eröffnungsworten führte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka aus, dass das österreichische Parlament die österreichischen Volksgruppen über den gesetzlichen Rahmen für die Volksgruppenarbeit hinaus in vielfacher Weise unterstütze. Es bemühe sich, sie sichtbar zu machen, ihnen eine Stimme zu geben und Zeichen der Solidarität zu setzen. Die Solidarität mit den Rom:nja und Sinti:zze komme durch die heutige Veranstaltung zum Ausdruck, die heuer erfreulicherweise genau am 8. April, dem internationalen Roma-Tag, stattfinden könne. Sobotka erinnerte daran, dass die Roma-Gemeinschaft die größte Minderheitsgruppe in Europa bildet. Die Herausforderungen, denen diese Volksgruppe gegenüberstehe, können laut dem Nationalratspräsidenten nur durch einen europäischen Schulterschluss bewältigt werden. Zwar sei einiges bereits gelungen, viele Fragen seien aber immer noch offen.
Die Festveranstaltung betone die Stärke der Roma-Gemeinschaft, diene aber auch dem Erinnern und Gedenken. Als einen der Beiträge des österreichischen Parlaments, um die Geschichte der Volksgruppe zu einem Teil der österreichischen Gedenkkultur zu machen, nannte Sobotka die Unterstützung eines Denkmals für die in der NS-Zeit ermordeten österreichischen Sint:izze und Rom:nja. Auch der Beschluss, den 2. August zum Gedenktag an den Porajmos zu machen, sei ein wichtiges Signal.
Raab: Wichtig, Initiativen von Frauen vor den Vorhang zu holen
Als Frauenministerin freue es sie besonders, dass mit der Festveranstaltung die Gelegenheit ergriffen werde, beispielhafte Initiativen zum Empowerment von Romnja und Sintizze vor den Vorhang zu holen, sagte Bundesministerin Susanne Raab in ihren Begrüßungsworten. Sie könne mit Freude sagen, dass die Volksgruppenarbeit in Österreich insgesamt in den letzten Jahren viele Fortschritte gemacht habe. Sie sei insbesondere stolz darauf, dass der Anteil der Sendungen in den Volksgruppensprachen im ORF erhöht werden konnte und dass es gelungen sei, Medien in Romanes zu etablieren. Die Arbeit sei damit aber noch lange nicht zu Ende, betonte Raab. Gleichberechtigung und die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben seien Anliegen für alle Mitglieder der Volksgruppe und in besonderem Maße für Frauen.
Horvath: Stärkung von Frauen der Volksgruppe soll kein Lippenbekenntnis bleiben
Ihre Gedanken zu einem zentralen Thema der Veranstaltung, dem Empowerment von Frauen in der Volksgruppe, brachte Manuela Horvath als Mitglied des Volksgruppenbeirates der Roma im Bundeskanzleramt ein. Ihr war es ein besonderes Anliegen, dass das Thema der Stärkung von Frauen der Roma-Volksgruppe kein Lippenbekenntnis bleibt. Aus ihrer Sicht müsse auch der Volksgruppenbeirat in seiner Arbeit mit gutem Beispiel vorangehen. Horvath erinnerte an drei Pionierinnen, die mit ihrer Arbeit wichtige Grundlagen für die Anerkennung der Roma und Sinti als autochthone Volksgruppe in Österreich gelegt haben. Horvath nannte die Malerin und Schriftstellerin Ceija Stojka, die Linzer Sinti-Aktivistin Rosa Gitta Martl sowie die Aktivistin der ersten Stunde für die Rechte der Burgenland-Roma, Susanne Baranyai.
Zugang zu Bildung als Voraussetzung für Empowerment
Eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Wandel und Aufbruch“ stellte Best-Practice-Beispiele aus dem Leben von Romnja vor. Aus den Redebeiträgen wurde klar, dass Bildung ein Schlüssel zum Erfolg im weiteren Leben ist, dass aber insbesondere Kinder der Volksgruppe mit zahlreichen Hürden konfrontiert sind. Deutlich wurde auch, dass Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft nach wie vor ein wesentlicher Faktor sind. Hier müsse ein grundlegender Wandel im Bildungssystem stattfinden, so der Tenor der Diskussion.
Csilla Höfler, Caritas Steiermark, berichtete aus den Erfahrungen des Arbeitsmarktintegrationsprojekts EMRO und des Projekts CHAVORE, das vor allem die Schulbildung von Kindern unterstützt. Dabei zeige sich immer wieder die Wichtigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes, der die gesamte Familie einbeziehe, unabdingbar sei.
Žaklina Radosavljević, Obfrau von Vivaro – Viva Romnja, unterstrich die Wichtigkeit eines niederschwelligen Angebots für Roma-Frauen und insbesondere für Migrantinnen. Das Besondere an der Arbeit des Vereins sei, dass er seine Workshops in Romanes und mit paralleler Kinderbetreuung anbiete. Damit sei es möglich, Frauen mit Informationen zu versorgen, die aus sprachlichen und sozialen Gründen auch innerhalb ihrer eigenen Gruppe oft isoliert seien und auf kein Netzwerk zurückgreifen könnten. Indem Vertrauen aufgebaut werde, sei es auch möglich, tabuisierte Themen anzusprechen, wie sexualisierte Gewalt oder Zwangsehen.
Tina Friedreich bestätigte aus ihren Erfahrungen als Mitarbeiterin bei Roma-Projekten der Caritas Graz die Wichtigkeit der Sprache, um Vertrauen aufzubauen und die Menschen in die Lage zu versetzen, über ihre Probleme zu sprechen. Dabei dürfe nicht übersehen werden, dass die Volksgruppe sehr inhomogen sei. Rassismus sei ein nach wie vor bestehendes Problem der Mehrheitsgesellschaft.
Alysea Nardai, eine junge Roma-Aktivistin und Elementarpädagogin in Ausbildung aus Oberwart, bestätigte aus eigener Erfahrung, dass Rassismus gegenüber Kindern aus Roma-Familien noch in jüngster Vergangenheit im Schulsystem erlebt werden konnte. Eine Folge war, dass die Weitergabe der eigenen Minderheitssprache an die nächste Generation unterblieb. Wichtig sei es aus ihrer Sicht daher, dass bereits der Kindergarten die Roma-Kultur auf positive Weise vermittle. Sie sehe als Vertreterin der Volksgruppe hier eine besondere Aufgabe.
DERLA: Schaffung einer digitalen Erinnerungslandschaft
Zum Thema „Erinnerung: Gedenken an den Porajmos am Beispiel von DERLA Burgenland“ sprach Historiker Herbert Brettl. Er ist Mitarbeiter von ERINNERN:AT, dem Programm zum Lehren und Lernen über Nationalsozialismus und Holocaust des OeAD, Österreichs Agentur für Bildung und Internationalisierung. Der Genozid an den Roma und Sinti ist das diesjährige Schwerpunktthema von ERINNERN:AT. Porajmos heißt „das Verschlingen“ auf Romanes und bezeichnet den Völkermord an Roma und Sinti in der Zeit des Nationalsozialismus. Das Projekt DERLA ist eine österreichweite „digitale Erinnerungslandschaft“ für ortsbezogenes und mediengestütztes Lernen sowohl im digitalen Raum als auch vor Ort. Mit diesem interdisziplinären Dokumentations- und Vermittlungsprojekt, das kontinuierlich erweitert wird, erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Dokumentiert werden Erinnerungen an die Opfer und Orte des Terrors des Nationalsozialismus. Zu den vier zentralen Elementen des Projekts zählen die interaktive Karte der Erinnerung, das Archiv der Namen, Wege der Erinnerung als digitale Rundgänge sowie schulische Vermittlungsarbeit zur Entwicklung eines Geschichtsbewusstseins, so Brettl.
Im Burgenland wurden bisher 242 Erinnerungszeichen – dazu zählen beispielsweise Denkmäler und Gedenktafeln – errichtet. Davon sind 28 Zeichen dezidiert dem Genozid an Roma und Sinti gewidmet. Jahrzehntelang seien sie nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt worden, so Brettl. Die meisten Erinnerungszeichen wurden daher erst in den vergangenen zehn Jahren realisiert. Derzeit gebe es gute Gespräche zur Errichtung weiterer Erinnerungszeichen, die in vielen Gemeinden derzeit noch fehlen. Im Jahr 1937 gab es im Burgenland rund 8.447 Roma und Romnja, von ihnen überlebten nur rund 500 die folgenden Kriegsjahre.
Podiumsgespräch mit Vertreter:innen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS
Beim anschließenden Podiumsgespräch mit Moderatorin Barbara Karlich waren Vertreter:innen aller Parlamentsfraktionen am Wort. Aus gesundheitlichen Gründen musste die Vertreterin der FPÖ ihre Teilnahme an der Veranstaltung absagen.
Der Völkermord an den Roma und Sinti sei erst sehr spät oder gar nicht aufgearbeitet worden, sagte Nikolaus Berlakovich (ÖVP). Wichtig sei es, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und in die Zukunft zu blicken. Man dürfe nicht aufhören oder müde werden weiterzuarbeiten. Wichtig sei es, Bewusstsein zu schaffen und damit das Denken zu verändern. Eine Arbeitsgruppe arbeite derzeit an der Umsetzung einer nationalen Gedenkstätte für Roma und Sinti in Wien, so Berlakovich.
Völkermord bedeute entsetzliches Leid und das Vernichten einer Kultur, erinnerte Harald Troch (SPÖ). In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg seien Roma mit vielen Formen der Diskriminierung konfrontiert gewesen, worunter besonders die Kinder zu leiden hatten. Daher sei das Lernen in gemeinsamen Schulen zentral, wobei den Sprachen der Volksgruppen dabei eine zentrale Rolle zukommen solle. Die Sprachen der Volksgruppen sollten nicht nur als Zweitsprachen unterrichtet werden, sondern auch in anderen Fächern zur Anwendung kommen. Auch die Musik der Volksgruppen, sollte im Regelschulwesen Niederschlag finden, forderte Troch.
Bildung allein könne Rassismus nicht bekämpfen. Doch Bildung trage dazu bei, dass es auf der anderen Seite Menschen gebe, die sich gegen Rassismus wehren können, sagte Eva Blimlinger (Grüne). Sie sprach sich zudem für die Stärkung der Volksgruppenrechte aus und forderte in diesem Sinne für Volksgruppenbeiräte nicht nur Anhörungs- sondern „klare Mitbestimmungsrechte“. Sie setze darauf, dass das in der nächsten Legislaturperiode erfolgen werde, so Blimlinger. Zudem solle im nächsten Kuratorium des Nationalfonds die Errichtung des bereits angesprochenen Mahnmals vorangetrieben werden. Dieses werde am Schmerlingplatz in Wien entstehen, dazu gebe es eine Einigung, so Blimlinger.
Es müsse die Frage diskutiert werden, ob nicht allen Volksgruppen „mehr Macht“ gegeben werde sollte, betonte Michael Bernhard (NEOS) und schlug beispielsweise die Etablierung eines Volkgruppenausschusses im Parlament vor. Die Vertreter:innen der Volksgruppen müssten ermächtigt werden, selbst Entscheidungen zu treffen, zudem bedürfe es im Hinblick auf die Förderung der Volksgruppen neuer Strukturen im Bildungssystem, so Bernhard.
Für die musikalische Umrahmung der feierlichen Veranstaltung sorgte die Leon Berger Band aus Oberwart mit Musik der Roma.
(Text: Parlamentskorrespondenz)