„Alle sollen wissen, dass es uns gibt“
Dezember 30th, 2023 | Published in Politik, dROMa (Magazin)
Die österreichischen Jenischen fordern ihre Anerkennung
Versteckt auf Seite 13 des Regierungsprogramms von 2020 erklärt die türkisgrüne Koalition, sie werde die „Anerkennung der jenischen Volksgruppe in Österreich“ prüfen. Es ist nur eine unscheinbare Zeile, doch für die österreichischen Jenischen wäre dies ein Schritt von historischer Tragweite.
Die Anerkennung durch das offizielle Österreich wäre „ein wichtiges und richtiges Zeichen des Respektes“, zeigte sich der Verein „Jenische in Österreich“ in Innsbruck erfreut. Diese Zuversicht ist seither allerdings verflogen. Es gab zwar einige Besprechungen, aber noch immer stehen die österreichischen Jenischen mit leeren Händen da. „Wir müssen uns wohl darauf einstellen, dass die Mühlen des Staates sehr langsam mahlen“, heißt es ernüchtert aus dem Verein.
Jenische leben vor allem in den deutsch- und französischsprachigen Ländern. Ihre traditionellen Berufe haben sie zumeist schon lange aufgegeben, nur ein kleiner Teil pflegt noch ein fahrendes Gewerbe. Wie viele Jenische es überhaupt gibt, das weiß keiner so genau. „Man sagt, es wären 500.000 in Europa und in Österreich sicher ein paar Zehntausend“, schätzt der Jenischen-Aktivist Marco Buckovez. Viele wollen sich auch nicht zu erkennen geben.
Seit jeher mussten die Jenischen ihre Identität gegen Anfeindungen behaupten. Über Jahrhunderte gingen sie – als fahrende Händler und Handwerker – verschiedensten Wandergewerben nach: als Scherenschleifer etwa, oder als Bürstenmacher, als Kessel- oder Schirmflicker. Und sie handelten mit Kleinwaren aller Art – mit Korbwaren oder Geschirr, später auch mit Antiquitäten und Altmetall. Ihre Waren und Dienstleistungen schlossen Lücken in der Nahversorgung der sesshaften Bevölkerung, insbesondere in abgelegenen Gebieten.
Jenische und Roma
Dabei ergaben sich, trotz der unterschiedlichen Herkunft, auch Überschneidungen mit den Roma und Sinti – in ihren Berufen und der Lebensweise, und nicht zuletzt in den Anfeindungen, die ihnen als „Randgruppen“ entgegenschlugen. Denn auch die Jenischen wurden als „Zigeuner“ diskriminiert und kriminalisiert; vor allem ihre fahrende Lebensweise war den Behörden ein Dorn im Auge. Kindeswegnahmen, Eheverbote und Zwangssterilisationen zielten darauf ab, die Volksgruppe zu dezimieren, die Nationalsozialisten verfolgten sie als „Asoziale“. In der Schweiz wurden – sogar noch bis ins Jahr 1973 – an die 2.000 Kinder von ihren Eltern getrennt und in Heimen und Pflegefamilien untergebracht. Solche Kindeswegnahmen gab es auch im Nachkriegsösterreich.
In ethnischer Hinsicht hingegen handelt es sich um verschiedene Gruppen. Im Gegensatz zu den Roma, deren Kultur und Sprache bis nach Indien zurückreichen, liegt der Ursprung der Jenischen in Mitteleuropa. Wann sich diese Minderheit herausgebildet hat, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. Manche sehen in ihnen ein Überbleibsel der Kelten oder einen geheimnisvollen Seitenzweig der Roma. Wahrscheinlich aber sind ihre Anfänge im Übergang zur Frühen Neuzeit zu suchen, als Hunger und Not Teile der ansässigen Unterschicht zur Wanderschaft zwangen. Spätestens die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges verurteilten verarmte Bauern und Besitzlose zu einem Leben auf den Landstraßen, wo sie mit Flüchtlingen, versprengten Söldnern, Juden und Roma in Kontakt kamen.
Jenische Sprache
Dies zeigt sich etwa in zahlreichen jiddischen Ausdrücken und Romani-Begriffen, die in die jenische Sprache einflossen. Sogar das Wort „jenisch“ dürfte auf das Romani-Wort „džanel“ (wissen) zurückgehen – „Jenisch“ ist demnach die „Sprache der Eingeweihten“, eine Geheim- und Gruppensprache also, die für Außenstehende nicht zu verstehen ist.
Die Sprachwissenschaft klassifiziert das Jenische denn auch gemeinhin als „Sondersprache“, verbunden mit dem „Rotwelschen“. Seiner Funktionfülle als Alltags- und Muttersprache wird man damit allerdings nicht gerecht: „Jenisch ist in jenischen Familien die Erstsprache im Spracherwerb. Menschen, die in jenischer Tradition aufwachsen, leben immer in Zweisprachigkeit“, erklärt die Linguistin Heidi Schleich. Sie plädiert für die Anerkennung als eigenständige Sprache. Dies wäre nach der „Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen“ möglich, aber Österreich sträubt sich bislang gegen die Anerkennung als „autochthone nichtterritoriale Sprache“.
Das Besondere an der jenischen Sprache ist ihr Einfallsreichtum. Während Struktur und Funktionswörter auf der (regionalen deutschen) Umgebungssprache basieren, werden Inhaltswörter neu geschaffen. Sprachschöpferisch jongliert das Jenische mit Umdeutungen, kühnen Komposita und eigentümlichen Suffixen. Und obendrein bedient es sich kreativ aus dem Wortgut seiner Kontaktsprachen, etwa aus dem Französischen.
Ihre Sprache pflegen die Jenischen heute fast nur im Geheimen, in den Familien. Immer schon war die Kultur der Jenischen eine Kultur im Verborgenen. Dort hat sie überlebt, doch dort droht sie nun auch zu verschwinden, befürchten Jenischen-Aktivisten. Eine Anerkennung könnte das ändern. Marco Buckovez: „Alle sollen wissen, dass es uns gibt.“
Von Roman Urbaner
Aus/ando: dROMa 71, Herbst/Terno dschend 2023
(→Themenheft/temakeri heftlina 30 Jahre Anerkennung/30 berscha aunprindscharipe)