„Alle sollen wissen, dass es uns gibt“

Dezember 30th, 2023  |  Published in Politik, dROMa (Magazin)

GESPRÄCHE IN WIEN: Marco Buckovez und Heidi Schleich trafen Parteienvertreter, Mitte: Olga Voglauer, Frühjahr 2022 | VAKERIPTSCHA: O Marco Buckovez taj i Heidi Schleich partajakere fatretertschen resle, Olga Voglauer (masch.), terno linaj 2022 (Foto / kipo: Grüner Klub im Parlament)Die österreichischen Jenischen fordern ihre Anerkennung


Versteckt auf Seite 13 des Regierungs­pro­gramms von 2020 er­klärt die türkis­grüne Koa­liti­on, sie werde die „An­er­ken­nung der jeni­schen Volks­gruppe in Öster­reich“ prü­fen. Es ist nur eine un­schein­bare Zeile, doch für die ös­ter­rei­chi­schen Jeni­schen wäre dies ein Schritt von his­to­ri­scher Trag­weite.

Die Anerkennung durch das offizielle Österreich wäre „ein wichtiges und richtiges Zei­chen des Respektes“, zeigte sich der Verein „Jenische in Österreich“ in Innsbruck erfreut. Diese Zu­versicht ist seither aller­dings verflogen. Es gab zwar einige Bespre­chungen, aber noch immer stehen die öster­reichi­schen Jenischen mit leeren Händen da. „Wir müssen uns wohl darauf ein­stellen, dass die Mühlen des Staates sehr langsam mahlen“, heißt es er­nüchtert aus dem Verein.

Jenische leben vor allem in den deutsch- und französisch­spra­chi­gen Ländern. Ihre traditio­nellen Berufe haben sie zumeist schon lange auf­ge­geben, nur ein kleiner Teil pflegt noch ein fahrendes Gewerbe. Wie­ viele Jenische es über­haupt gibt, das weiß keiner so genau. „Man sagt, es wären 500.000 in Europa und in Österreich sicher ein paar Zehn­tausend“, schätzt der Jeni­schen-Ak­tivist Marco Buckovez. Viele wollen sich auch nicht zu er­kennen geben.

Seit jeher mussten die Jenischen ihre Identität gegen Anfein­dun­gen be­haupten. Über Jahr­hunderte gingen sie – als fahrende Händler und Hand­werker – ver­schie­densten Wander­gewerben nach: als Scheren­schleifer etwa, oder als Bürsten­macher, als Kessel- oder Schirm­flicker. Und sie handelten mit Klein­waren aller Art – mit Korbwaren oder Geschirr, später auch mit Anti­quitäten und Altmetall. Ihre Waren und Dienst­leistungen schlossen Lücken in der Nah­versorgung der sess­haften Bevölkerung, ins­beson­dere in ab­ge­le­genen Gebieten.

Jenische und Roma
Dabei ergaben sich, trotz der unterschiedlichen Herkunft, auch Über­schneidungen mit den Roma und Sinti – in ihren Berufen und der Lebens­weise, und nicht zuletzt in den An­feindungen, die ihnen als „Rand­gruppen“ entgegen­schlugen. Denn auch die Jenischen wurden als „Zigeuner“ dis­kriminiert und krimi­nalisiert; vor allem ihre fahrende Lebens­weise war den Behörden ein Dorn im Auge. Kindes­weg­nahmen, Eheverbote und Zwangs­steri­lisa­tio­nen zielten darauf ab, die Volks­gruppe zu dezimieren, die National­sozia­listen verfolgten sie als „Asoziale“. In der Schweiz wurden – sogar noch bis ins Jahr 1973 – an die 2.000 Kinder von ihren Eltern getrennt und in Heimen und Pflege­familien unter­gebracht. Solche Kindes­weg­nahmen gab es auch im Nach­kriegs­öster­reich.

In ethnischer Hinsicht hingegen handelt es sich um verschiedene Gruppen. Im Gegen­satz zu den Roma, deren Kultur und Sprache bis nach Indien zurück­reichen, liegt der Ursprung der Jenischen in Mittel­europa. Wann sich diese Min­der­heit heraus­gebildet hat, darüber gehen die Meinungen aller­dings aus­einander. Manche sehen in ihnen ein Über­bleibsel der Kelten oder einen geheim­nis­vollen Seiten­zweig der Roma. Wahr­scheinlich aber sind ihre Anfänge im Übergang zur Frühen Neuzeit zu suchen, als Hunger und Not Teile der an­sässigen Unter­schicht zur Wanderschaft zwangen. Spätestens die Ver­wüstungen des Dreißig­jährigen Krieges ver­urteilten verarmte Bauern und Besitzlose zu einem Leben auf den Land­straßen, wo sie mit Flüchtlingen, ver­sprengten Söldnern, Juden und Roma in Kontakt kamen.

Jenische Sprache
Dies zeigt sich etwa in zahlreichen jiddischen Ausdrücken und Roma­ni-Be­grif­fen, die in die jenische Sprache ein­flossen. Sogar das Wort „jenisch“ dürfte auf das Romani-Wort „džanel“ (wissen) zurück­gehen – „Jenisch“ ist dem­nach die „Sprache der Ein­geweihten“, eine Geheim- und Gruppen­sprache also, die für Außen­stehende nicht zu verstehen ist.

Die Sprachwissenschaft klassifiziert das Jenische denn auch gemein­hin als „Sonder­sprache“, ver­bunden mit dem „Rotwelschen“. Seiner Funktionfülle als Alltags- und Mutter­sprache wird man damit aller­dings nicht gerecht: „Jenisch ist in jenischen Familien die Erstsprache im Sprach­erwerb. Menschen, die in jenischer Tradition auf­wachsen, leben immer in Zwei­sprachig­keit“, erklärt die Linguistin Heidi Schleich. Sie plädiert für die An­erkennung als eigen­ständige Sprache. Dies wäre nach der „Euro­päische Charta der Regional- und Min­der­heiten­sprachen“ möglich, aber Österreich sträubt sich bislang gegen die An­erkennung als „autochthone nicht­terri­­to­riale Sprache“.

Das Besondere an der jenischen Sprache ist ihr Einfallsreichtum. Wäh­rend Struktur und Funk­tions­wörter auf der (regionalen deutschen) Um­gebungs­sprache basieren, werden Inhalts­wörter neu geschaffen. Sprach­schöpfe­risch jongliert das Jenische mit Um­deutungen, kühnen Komposita und eigen­tüm­lichen Suffixen. Und oben­drein bedient es sich kreativ aus dem Wortgut seiner Kontakt­sprachen, etwa aus dem Fran­zösischen.

Ihre Sprache pflegen die Jenischen heute fast nur im Geheimen, in den Familien. Immer schon war die Kultur der Jenischen eine Kultur im Ver­borgenen. Dort hat sie überlebt, doch dort droht sie nun auch zu ver­schwinden, befürch­ten Jenischen-Ak­ti­visten. Eine An­er­kennung könnte das ändern. Marco Buckovez: „Alle sol­len wissen, dass es uns gibt.“

Von Roman Urbaner

Aus/ando: dROMa 71, Herbst/Terno dschend 2023
(→
Themenheft/temakeri heftlina  30 Jahre Anerkennung/30 berscha aun­prin­dscha­ripe)

Comments are closed.