Von, mit oder über Sinti und Roma?

November 1st, 2022  |  Published in Film & Theater, Jugend & Bildung, Literatur & Bücher

Cover Überlegungen zum Themenfeld Antiziganismus und Film. Eine Handreichung für Multiplikator*innen aus Film und Bildungsarbeit

→Hier bestellen (E-Mail) | →Download (pdf)

Welche Filme fallen Ihnen ein, in denen es um Sinti und Roma geht? In wel­chen dieser Filme sind die Roma-Figuren An­wält*in­nen, Lehrer*in­nen oder Buch­händler*in­nen? Und in wie vielen der Filme spielt der Holocaust an Sinti und Roma eine Rolle?

Im europäischen wie im deutschen (Spiel-)Film gibt es wenig Raum für Ge­schich­ten, die einen differen­zierten und inno­vativen Blick auf das Leben der größten Minder­heit Europas werfen. Allzu oft werden statt­dessen Klischees re­pro­duziert, häufig durch eine Fokus­sierung auf Armut, Kriminalität, ver­meint­lich Exoti­sches oder ‚Außen­seitertum‘. Das ist wenig über­ra­schend, denn in Deutschland wie in Europa gehört Anti­ziganismus zur gesell­schaft­li­chen und damit auch zur filmisch wieder­ge­ge­benen Normalität. Die Repro­duktion von aus­gren­zenden und dis­kriminie­renden Stereo­typen in Film und Fernsehen ver­stärkt und legitimiert den gesell­schaft­lichen Aus­schluss einmal mehr. Eine öffentliche Aus­einander­setzung mit der Dis­krimi­nierung von Sinti und Roma und den zu­grunde­lie­genden Ideologien und Strukturen findet kaum statt. Dieses man­gelnde Bewusst­sein über Aus­prägungen und Reich­weite von Anti­ziganismus erschwert, dass sich die Gesell­schaft, und eben auch Film­schaffende, mit dem Thema (selbst-)kri­tisch aus­einan­der­setzen können.

Hier setzt diese Broschüre an: In drei Abschnitten werden antiziganis­tische Bilder im (Spiel-)Film, gän­gige Erzähl­muster und die struk­tu­rellen Hinder­nisse für eine kritische Be­schäf­tigung mit diesen Themen in der Film­land­schaft be­leuchtet. Auf dieser Grund­lage können Film­schaffende sich mit eigenen Vor­urteilen, aber auch mit etablier­ten Dar­stel­lungs­formen von Sinti und Roma im Film auseinandersetzen – ganz un­abhän­gig davon, welche Rolle sie in der Pro­duktion oder Ver­öffentlichung von Filmen ein­nehmen.

Hinter jedem noch so kurzen Film steckt viel Arbeit und Recherche, aber auch Finan­zie­rungs- und Erfolgs­druck. Ent­sprechend viele Personen sind an der Ent­stehung, der Ver­breitung und auch der Re­zeption eines Films beteiligt. Als in hohem Maß kollek­tive Kunst­werke geben Filme auch Auskunft über gesell­schaftlich ver­breitete Ein­stellungen und Wis­sens­bestände. Deshalb kann es nicht darum gehen, einzelne Film­schaffende zu kriti­sieren. Vielmehr soll auf­gezeigt werden, wie tief ver­ankert Anti­ziganismus in der Gesell­schaft ist und wie er sich in Film­pro­duktio­nen nieder­schlägt. Das Ziel dieser Broschüre ist, Film­schaffende für dieses Thema zu sen­sibili­sieren. Dafür werden, in An­lehnung an die Arbeit der Kultur­wis­sen­schaft­le­rin Radmila Mladenova, die Arbeit von Dreh­buch­autor*in­nen, Kamera­leuten, Kostüm­bild­ner*in­nen und Regisseur*in­nen genauso in den Blick ge­nommen wie die Auf­gaben von Redak­teur*in­nen und Festi­val-Jurys. Anstatt Empfeh­lungen zu geben, schließt jeder Ab­schnitt mit Fragen, denn: Wir wollen keine künst­leri­schen Ent­scheidun­gen vorweg­nehmen, son­dern zur Reflexion der eige­nen Arbeit einladen.

Impulse soll die Broschüre auch für die schulische wie außer­schuli­sche Bildungs­arbeit geben. Wenn mit Filmen zum Thema ge­arbeitet wird, ist es wichtig, den eigenen Blick für die Gefahr der Re­produk­tion antiziganis­ti­scher Bilder auch in Filmen zu schulen. Die Empfeh­lungen im Anhang können außer­dem dabei helfen, Filme zu finden, mit denen sich in der Bildungs­arbeit über­lieferte Klischees hinter­fragen lassen.

Autorin: Pia Masurczak | Herausgegeben vom Bildungsforum gegen Antiziganis­mus des Doku­men­ta­tions- und Kultur­zentrum Deut­scher Sinti und Roma in Zu­sam­men­arbeit mit dem Zentral­rat Deutscher Sinti und Roma.

Diese Handreichung basiert auf den Vorträgen und Ergebnissen der Konferenz „Anti­ziganis­mus und Film“, die vom Zentral­rat Deutscher Sinti und Roma, vom Doku­menta­tions- und Kultur­zentrum Deutscher Sinti und Roma und von der Gesell­schaft für Anti­ziganis­mus­forschung im Februar 2018 in Ko­operation mit der Forschungs­stelle Anti­ziganismus an der Univer­sität Heidelberg und dem goEast-Festival des mittel- und ost­euro­päi­schen Films ver­anstal­tet wurde.

Die Konferenzbeiträge wurden in diesem Sammelband veröf­fent­licht: Mladenova, Radmila / von Borcke, Tobias / Brunssen, Pavel / End, Markus / Reuss, Anja (Hg.): Antigypsyism and Film / Antiziganismus und Film. Heidel­berg: heiUP, 2020. Der Band ist über den Verlag heiUP als Open-Ac­cess-Pub­li­ka­tion im PDF- und HTML-For­mat kosten­frei ver­fügbar.

(Text: Zentralrat)

Comments are closed.