Zu Hause bleiben, wo man nicht zu Hause ist

Dezember 10th, 2020  |  Published in Einrichtungen

Coronazeiten im Grazer ViniNest (Foto: Markus Lösel)Die Pandemie stellt das Grazer VinziNest vor be­son­de­re Heraus­for­de­run­gen. Ne­ben dem Ein­hal­ten stren­ger Hygie­ne-Maß­nah­men muss mit dem stei­gen­den emo­tio­na­len Druck der Be­wo­hner um­ge­gan­gen wer­den.

Markus Lösel/www.annenpost.at:
Stephan Steinwidder ist Mit­begrün­der des Kälte­telefons in Graz, einer Initia­tive, durch die An­ru­fer/in­nen bei Be­obach­tung von frieren­den Obdachlosen Le­ben ret­ten kön­nen. Seit über einem Jahr lei­tet er auch das VinziNest in der Kern­stock­gasse 14 und ist somit Nach­folger des legen­dä­ren August „Gustl“ Eisner. Dieser hatte die Not­schlaf­stelle im Jahr 1992 ge­mein­sam mit Pfar­rer Wolfgang Pucher von der Vinzenz­gemein­schaft ge­grün­det. In der Notschlafstelle küm­mern sich sein Team und er um männ­li­che Migranten, die von Armut be­trof­fen sind und kei­nen Platz zum Schlafen ha­ben. „In unse­re Ein­richtung kom­men Män­ner aus rund 26 Nationen. Die meis­ten von ihnen sind Roma aus der Slowakei oder Rumänien. Unser jüngs­ter Be­woh­ner ist 18 Jahre alt, unser ältes­ter 85“, sagt Stein­widder. Anders als sonst hat die Ein­richtung aktuell für ihre Klienten rund um die Uhr ge­öffnet. Denn Men­schen ohne fixe Bleibe haben es in Zeiten mit Aus­gangs­be­schrän­kungen natür­lich be­sonders schwer.

Corona-Konzept funktioniert
„Bitte Abstand halten und Hände desinfizieren“, steht auf eini­gen Schildern im Ein­gangs­bereich des VinziNests ge­schrieben. Neben der deutschen Version ist dieser Hinweis auch in unzähligen ande­ren Sprachen zu lesen. Zudem erin­nern auf­ge­hängte Fotos von Masken an jeder Ecke an das Tragen eines Mund-Na­sen-Schut­zes. „Es ist schwie­rig den Men­schen zu er­klären, warum das alles nötig ist, aber das Ver­ständ­nis ist größer als beim ers­ten Lockdown“, sagt Stephan Stein­widder.

Für Schutz vor einer möglichen Ansteckung sollen auch eigens für die Coro­na-Pan­demie ein­ge­rich­tete Trenn­wände aus Holz sor­gen. Diese sind zwi­schen den Stock­betten in den Schlaf­räumen an­gebracht. „Außer­dem achten wir aktuell darauf, nicht mehr als 35 von unseren 80 Betten zu be­legen, um den erfor­der­lichen Abstand ge­währ­leis­ten zu können.“

Psychische Belastung steigt
Die Männer, die sich bei meinem Besuch gerade in der Einrichtung befinden, halten sich an die vor­gege­benen Maß­nahmen. Sie tragen dort, wo es nötig ist, einen Mund-Na­sen-Schutz und halten Ab­stand. „Die Hygie­ne-Richt­linien und ihre Um­setzung sind ak­tuell nicht unse­re größ­te Heraus­for­de­rung“, sagt Stein­widder. „Viele unse­rer Klienten ha­ben ihren Job als Erntehelfer ver­loren. Sie können ak­tuell weder Geld ver­dienen noch in ihr Heimat­land zu­rück­kehren. Das drückt aufs Gemüt.“

Dies und die Tatsache, dass aufgrund der Ausgangs­beschrän­kun­gen die Männer länger als ge­wohnt gemein­sam an einem Ort verweilen müs­sen, führen zu einem hohen emotio­nalen Druck bei den Be­wohnern des Vin­ziNests. Zu­sammen mit dem ohnehin schwie­rigen Schick­sal der Klienten re­sultiert dieser Druck häufig in Ver­zweiflung und Wut. Mit vielen Ge­sprächen möchte das Team des Vin­ziNests ver­suchen, den Druck von den Men­schen zu neh­men und so für psychische Ent­lastung zu sorgen. „Die Mensch­lich­keit muss im Vor­der­grund bleiben“, sagt Stein­widder.

Ehrenamt nimmt wichtige Rolle ein
Im ersten Lockdown Anfang dieses Jahres konnte der dafür be­nötigte zu­sätz­liche Personal­aufwand sehr gut mit ehren­amt­lichen Mit­arbei­terin­nen und Mit­arbei­tern auf­ge­fangen werden. „Es war wirk­lich be­ein­dru­ckend, wie viele Grazerin­nen und Grazer sich in dieser Zeit bei uns ge­meldet haben.“ Auch nun hofft Stein­widder wieder auf ein der­artiges Engage­ment der Be­völke­rung, denn für ihn ist klar: Die wich­tig­sten Aufgaben im Lockdown nehmen die Ehren­amt­lichen ein.“ Diese können sich Zeit nehmen, mit den Men­schen in ein Gespräch zu treten, und so Mensch­lich­keit zeigen. „Für unsere Klienten, die zu Hause blei­ben müssen, ohne tat­sächlich zu Hause zu sein, hat das einen wirk­lich de­eskalie­renden Aspekt.“ Viele Frei­willige aus dem ersten Lock­down sind der Ein­richtung glück­licher­weise er­halten ge­blieben. Den­noch suchen Steinwidder und sein Team auch aktuell wieder Ehren­amtli­che, da unter frei­willigen Mit­arbeitern eine natür­li­che Fluk­tua­tion herrscht.

Ehrenamtliche Helfer*innen können sich unter +43 676 / 8742 31 30 oder vinzinest@vinzi.at bei Leiter Stephan Stein­wid­der mel­den.

(Text: Markus Lösel, zuerst erschienen auf www.annenpost.at am 5.12.2020. Wir dan­ken dem Autor für die freund­liche Ge­neh­mi­gung.)

Siehe auch:
25 Jahre VinziNest in Graz
, 14.11.2017

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