Illustrierte Wochenpost, 3. März 1939
März 11th, 2019 | Published in Fundstücke, Geschichte & Gedenken, Medien & Presse, Rassismus & Menschenrechte
Vom Wort zur Tat: Von der Medienhetze gegen „Zigeuner“ war es nur noch ein kleiner Schritt zum Roma-Holocaust.
Vor (fast) exakt 80 Jahren, am 3. März 1939, veröffentlichte die Wiener Wochenzeitung „Illustrierte Wochenpost“, Nr. 9, S. 8, unter dem Titel „Zigeuner – die große Landplage“ einen ganzseitigen Artikel über die österreichischen Roma. Von dieser rassistischen Hetze, die an einen jahrzehntelangen medialen Diskurs anknüpfte, war es jetzt nur mehr ein kleiner Schritt zum Holocaust. Etwa neun Zehntel der Roma des Burgenlandes wurden kurz darauf deportiert und ermordet.
„Die Zigeunerfrage, die bisher im Altreich eine relativ unbedeutende Rolle gespielt hat, ist in der Ostmark ein brennendes Problem“, heißt es in dem Artikel. „Und zwar ein Problem der Rassenmischung sowohl wie der Kriminalität.“ Dem Reporter G. Ebert, der angeblich vor Ort im Burgenland recherchierte, habe sich „der nachhaltige Eindruck einer kulturellen Verkommenheit und Degeneration, die ekelerregend ist“, ergeben – die Tonalität des gesamten Artikels zielt auf Entmenschlichung ab.
Im Rahmen des Artikels abgedruckt ist auch ein Schreiben des Bürgermeisters von Sankt Margarethen (Bezirk Eisenstadt-Umgebung). Bürgermeister Unger war offenbar einer jener zahlreichen Scharfmacher auf lokaler Ebene, welche die nationalsozialistischen Behörden zu immer radikaleren Verfolgungsmaßnahmen drängten und deren Vernichtungswillen erst so richtig befeuerten. Als Vorwand dienten einmal mehr die angeblich horrenden Fürsorgekosten, welche die verarmte Romabevölkerung für die Kommunen bedeutete. So gipfelt auch dieser Artikel mit einem abschließenden Ruf nach drastischen Maßnahmen gegen das „arbeitsscheue Parasitenvolk“, das man da „großgezogen“ habe, „niemanden (sic!) zunutze und allen zum Schaden“. „Die Gemeinden, die Zigeuner beherbergen müssen, rufen nach Lösung der Zigeunerfrage (…)“.
Als dieser Artikel erschien, war bereits die erste Deportationswelle angerollt: Schon 1938 waren 232 österreichische Roma und Sinti inhaftiert und in Konzentrationslager eingewiesen worden. Ein Jahr später verfügte das Reichskriminalpolizeiamt die Deportation von weiteren 3.000 arbeitsfähigen Männern und Frauen. Ab 1939 wurden in Österreich eigene „Zigeunerlager“ eingerichtet (unter anderem 1940 in Lackenbach). Im November 1941 begannen schließlich die Massendeportationen – zunächst nach Łódź/Litzmannstadt (bzw. von dort nach Chełmno/Kulmhof), später dann nach Auschwitz-Birkenau.
Die „Illustrierte Wochenpost“, die als „Unterhaltungsblatt für Jedermann“ erschien, stand zum Zeitpunkt des zitierten Artikels bereits unter kommissarischer Verwaltung. Der Herausgeber Paul Kolisch, ein prominenter jüdischer Unternehmer, war schon Anfang April 1938 mit dem ersten österreichischen Transport ins KZ Dachau verbracht worden. Er starb im Dezember 1939 in Buchenwald.
Zur Artikelansicht in der historischen Zeitungsdatenbank der Österreichischen Nationalbibliothek (ANNO) gelangen Sie hier: anno.onb.ac.at (via Christian Cargnelli).
(RU/dROMa)