Bern: Amnesty warnt vor „Lex Fahrende“

Januar 25th, 2018  |  Published in Politik, Rassismus & Menschenrechte, Recht & Gericht

SchweizAmnesty International kritisiert die Auf­nahme eines neuen Weg­wei­sungs­grunds «ge­­­gen un­­er­­laub­­­tes Cam­­pie­­ren» im Po­li­zei­ge­setz des Kan­tons Bern (mehr hier). Die „Lex Fahrende“ bie­tet keine Lö­sung für das Problem der feh­len­den Stand- und Durch­gangs­plätze und droht den Anti­ziganis­mus zu för­dern.

Amnesty International Schweiz, 24.1.2018: In den letzten Jahren kam es zu Schließun­gen zahl­rei­cher Stand- und Durch­gangs­plätze in der Schweiz. Diese wurden mehr­heit­lich nicht ersetzt. Mit der Be­setzung der Kleinen All­mend in Bern im April 2014 (mehr hier und hier) durch Ver­tre­terInnen der Be­we­gung Schwei­zer Reisen­der kam dieser Problematik end­lich auch die not­wen­dige poli­ti­sche Be­deu­tung zu und es konn­ten zwischen­zeitlich einige Pro­vi­so­rien ge­schaf­fen wer­den. Von diesen kön­nen aber vor allem Schweizer Fahrende pro­fi­tie­ren und sie ste­hen aus­län­di­schen Fahrenden oft nicht zur Ver­fügung.

«Die Situation ist sowohl für die Schweizer Fah­ren­den und noch viel mehr für die aus­län­di­schen Fah­ren­den prekär und für die Betrof­fe­nen mehr als un­befrie­di­gend», sagt Denise Graf, Juristin bei Amnesty International Schweiz.

Problem auf die lange Bank geschoben

Es sind zwar Bemühungen im Gang, in der kantona­len Raum­planung de­fini­tive Stand- und Durchgangs­plätze zu schaf­fen, doch die Re­sul­tate dieser Be­mühun­gen las­sen auf sich warten. Bis­lang gibt es keine offi­ziel­len Plätze im Kanton Bern für aus­ländi­sche Fahrende. Sie sehen sich des­halb dazu ge­zwun­gen, sich auf privaten Grund­stücken nieder­zulassen. Dies führt bei der Be­völ­ke­rung oft zu Ab­lehnung und Ressen­ti­ments gegen­über Roma, Sinti und Jenischen.

Solange die Berner Behörden ihre Aufgaben nicht ge­macht haben, kön­nen sie nicht poli­zei­lich gegen die aus­län­di­schen Fahren­den vor­gehen, die sich auf privaten Grund­stücken nie­der­las­sen. Bei einer polizei­li­chen Wegweisung muss die Polizei den Fah­ren­den die Ad­resse eines of­fi­ziel­len Ortes ge­ben können, wo sie Durch­gangs­plätze fin­den kön­nen. Ein Ver­weis auf einen außer­kan­to­na­len Durch­gangsplatz wä­re nicht kor­rekt, denn es ist nicht an den an­de­ren Kantonen, Plätze für Fah­rende zur Ver­fügung zu stel­len, die im Kanton Bern keiner­lei regu­läre Transit­plätze fin­den können.

«Die von einer Mehrheit des Großen Rates ver­tre­tene Hal­tung för­dert den Anti­zi­ga­nis­mus und ist einer fried­li­chen Lösung des Problems nicht för­der­lich, das jahr­zehnte­lang auf die lan­ge Bank ge­scho­ben wurde», sagt Denise Graf.

Hintergrund

Im Zusammenhang mit dem Europäischen Rahmenübereinkommen zum Schutz nationa­ler Min­der­heiten wird die Gruppe der «Fahrenden» in der Schweiz seit 1998 of­fi­ziell als natio­nale Minderheit an­er­kannt. Diese Bezeich­nung wird jedoch der Reali­tät der betrof­fenen Minder­heiten nicht ge­recht, da es sich um eine Ver­mi­schung von Lebens­weise und ethni­scher Zu­gehörig­keit han­delt. In der Schweiz leben 35.000 Jenische, da­von sind 3.000 bis 5.000 «Fahrende». Dazu kom­men einige hundert Sinti mit meist fah­ren­der Lebens­weise. Gleich­zeitig wird davon aus­ge­gan­gen, dass rund 80.000 Roma in der Schweiz leben. Sie sind in der Schweiz gut in­tegriert. Roma haben eine eigene Kultur und Sprache. Unter ihnen gibt es kaum Fahrende. Fah­rende Roma kom­men vor al­lem aus dem nahen Ausland, sie sind aber eine kleine Min­der­heit der Roma.

Siehe auch:
Selbst Hardliner blicken voller Zweifel auf die «Lex Fahrende»: Ein­zelne der ge­for­der­ten Ver­schär­fun­gen im neuen Poli­­­zei­gesetz sind klar auf Fah­ren­de aus­ge­richtet.

GfbV-Bericht: „Fahrende Roma in der Schweiz“, 31.10.2017
„Es ist ein großer Rückschritt“, 27.4.2014
Bern: Jenischen-Protestcamp geräumt, 26.4.2014

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