Gipsyeye – Don’t worry, be Roma!

November 30th, 2015  |  Published in Einrichtungen, Jugend & Bildung

Ionut Stan in seinem Büro (Foto: hpd/Sandra Mossner)Ionut Stan, Leiter der GIPSYEYE NGO in Rumänien, ist eine unver­zicht­bare Stimme im PEARLS-Projekt, das von der EU ge­spon­sert wird. Es geht um den Schutz jener Roma­kinder und -ju­gend­lichen, die be­son­ders be­trof­fen von Schul­ab­bruch und un­glei­chen Bildungs­chan­cen sind.

hpd/Susan Navissi, 26.11.2015: Gipsyeye arbeitet sowohl an der Aufklärung über Roma als auch im Bereich Anti­rassismus und Men­schen­rechte. Jedes Jahr er­mög­licht sie vielen jungen Men­schen, als Frei­willige diese Orga­ni­sa­tion zu unter­stützen und wert­volle Erfah­run­gen zu ma­chen. Roma, die seit Jahr­hun­der­ten Diskri­mi­nie­rung und tief ver­wurzel­ten Rassis­mus in ganz Europa erlebt ha­ben, die die Grauen der Nazizeit in gan­zer Härte er­litten, müssen immer noch um die Anerken­nung ihrer Würde kämpfen. Der hpd sprach mit Ionut Stan.

hpd: Was brauchen die SchülerInnen mit Roma-Hinter­grund be­son­ders?

Ionut Stan: Zunächst einmal müssen sie verinnerli­chen, dass sie genau so wie alle anderen rumä­ni­schen Kinder rumäni­sche Staats­bür­gerInnen sind mit genau den­selben Rechten. Bedauer­licher­weise wer­den sie an manchen Schulen nach wie vor diskri­mi­niert und die Kinder be­kom­men den Ein­druck, es sei schlecht, Roma zu sein. Aber das Gegen­teil ist der Fall. Es ist eine wunder­bare Er­gän­zung, mehrere kultu­relle Ein­flüsse zur Ver­fügung zu haben. Wichtig ist, dass Eltern und Kinder ermutigt werden, ihre Bedürf­nis­se im Bereich Bildung zu er­kennen und zu arti­ku­lie­ren. Es darf keine Segre­ga­tion geben, Roma und Nicht Roma müssen zusam­men lernen und sie müssen wissen, dass wir, NGOs, Schul­insti­tu­tio­nen da sind, um sie zu unter­stützen. Wenn wir einen Weg finden, auch unseren Roma Kindern das Gefühl zu geben, dass sie will­kom­men sind, ge­schätzt und geliebt werden und ihr Erfolg ge­wünscht ist, dann sollte einer posi­ti­ven Ent­wick­lung nichts im Wege stehen.

Spielt es für Sie eine Rolle, dass an der Cosmesti-Schule zwei Leh­rerIn­nen mit Roma­wurzeln nach dem Uni­ver­si­täts­ab­schluss Leh­rerIn­nen wur­den?

Ich denke, die Funktion der positiven Rollenvorbilder kann nicht genug be­tont werden. Es ist heut­zu­tage mög­lich, in Rumänien die eige­ne Karriere zu ver­folgen und dabei unter­stützt zu wer­den. Wenn du Astronaut wer­den möch­test, dann kannst du das werden, voraus­ge­setzt du lernst und bist fleißig. Das ist die Message, die wir ha­ben: Es gibt nichts, was dich stop­pen kann, wenn du etwas er­rei­chen möch­test. Es wird immer Men­schen geben, die dich unter­stützen und dir helfen, sei es eine NGO, Sozial­arbei­terIn­nen. Ich habe fest­gestellt, dass, wenn ein Lehrer mit Roma­wurzeln im Kol­le­gium ist, sich die Haltung und auch die Sprache der Kol­legInnen der Mehr­heits­gesell­schaft ändern.

Was meinen Sie, was außerdem LehrerInnen unter­stützen kann, ihre Haltung zu ver­bes­sern? Was erwar­ten Sie von den LehrerIn­nen in Ru­mä­nien?

Ich denke wirklich, dass rumänische LehrerInnen das Herz auf dem rechten Fleck haben und wol­len, dass die ihnen an­ver­trau­ten Schü­lerInnen er­folg­reich sind. Ich glaube auch, dass manch­mal genau diese Leh­rerIn­nen an dem System und den Um­ständen ver­zwei­feln. Es sind viele Kinder, die in großer Armut leben. Und wie sollen sie gut lernen können, wenn sie regel­mäßig ohne Früh­stück zur Schule kom­men? Oder wenn sie nicht zur Schule kom­men weil es regnet oder zu kalt ist, ein­fach des­halb, weil sie keine Kleidung für dieses Wet­ter be­sitzen.
Es ist wichtig für LehrerInnen zu wissen, dass sie nicht alleine sind. Es gibt Men­schen und Insti­tu­tio­nen, an die sie sich wen­den können. Die Rolle der Leh­rerIn­nen ändert sich, muss sich ändern, denn auch die Gesell­schaft ändert sich, sie wird komple­xer und ver­netzter.
Wenn du LehrerIn bist und du siehst dass dein Schüler keine guten Leis­tun­gen bringt, nicht, weil er dumm ist, son­dern weil die Eltern viel­leicht selbst Analpha­beten sind, was kannst du tun? Wie kannst du als Leh­rerIn dieses Kind mit anderen Men­schen in Ver­bindung brin­gen, die ihm gut tun? Wer kann das Kind zu­hause be­suchen und eine Bezie­hung auch zu den Eltern auf­bauen? Wer zeigt den Eltern, dass sie, dass ihr Kind wichtig ist? Tat­säch­lich war es früher so, dass Leh­rerIn­nen die Fami­lien zu­hause be­sucht haben.

Sie sind zweifelsohne selbst ein erfolgreicher Mann, ein gelun­ge­nes Rollen­vorbild, jemand, der seine Ziele ver­folgt und er­reicht. Gab es in ihrem Leben ein Vor­bild oder ein Ereig­nis, dass sie stark beein­flusst hat? Und dürfen wir erfah­ren, was oder wer das war?

Ich erinnere mich, dass ich, als ich ca. acht Jahre war, von der Schule nach Hause kam, und gebetet habe: Warum kann ich nicht Rumäne sein? Warum bin ich ein Rom? Warum kann ich nicht sein wie die anderen? Ich fragte mich das über Jahre, suchte nach Antworten. Und eines Tages – ich war noch ein Schüler, ein sehr guter Schüler übrigens, dessen rumänische Mitschüler manches Mal zuhause Schläge bekamen, weil ein Rom bessere Noten bekam als sie – bekam ich meine Antwort. Ich verstand, dass ich nicht benachteiligt war, ich war sogar reicher als die anderen, weil ich eine Gemeinschaft habe, zu der ich gehöre, mehrsprachig bin und Dinge oft differenzierter sehe, durch meine interkulturelle Sensibilisierung.
Ich traf diese Frau, eine Psychologin, die eine offene Schreibwerkstatt an unserer Oberschule anbot. Dort schrieb ich mit anderen jungen Menschen über Dinge, die uns betrafen. Wir öffneten uns und lernten uns selbst kennen. Da wir unter einem anderen Namen schreiben sollten, einem Pseudonym, wählte ich den Namen Mr Gipsy. Das war für mich damals nicht negativ konnotiert, wie etwa das Z-Wort. Später erst habe ich verstanden, dass auch dieses Wort abwertend ist. Damals war es für mich etwas Besonderes, ich dachte, Gipsy wäre in Ländern wie zum Beispiel England etwas Angesehenes.
Ich schrieb und war anerkannt, anerkannt und geschätzt als Gipsy, mit all den Anteilen, die zu meiner Identität gehören. Das war das Besondere und das, was mich gestärkt hat. Das ist es, was ich allen Kindern wünsche, dass sie ihre Möglichkeiten und ihre Würde erkennen! Wir sind froh, dass wir unseren Teil dazu beitragen können, die Situation der Roma- und auch Nicht-Roma-Kinder zu verbessern und für eine gerechtere Bildungspolitik stehen. Es gibt immer mehr junge Roma, die diese Entwicklungen fördern, auch in unserer Organisation.

Das Interview führte Susan Navissi für den hpd.

Wir danken hpd für die freundliche Genehmigung!

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