Kind in Handschellen: zweite Strafanzeige
März 10th, 2021 | Published in Rassismus & Menschenrechte
Vor einem Monat erhob der Landesverband Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg Vorwürfe gegen die Polizei wegen eines Übergriffs auf ein elfjähriges Kind in Singen (wir berichteten). Nach einem anfänglichen Dementi bestätigte die Polizei, dass es einen solchen Vorfall gab; die Kriminalpolizei hat interne Ermittlungen aufgenommen. Nun berichtet der Landesverband, dass eine weitere Strafanzeige erstattet wurde:
Am 8. März 2021 fand in Singen (Baden-Württemberg) die Vernehmung des elfjährigen Kindes, das am 6. Februar 2021 in Handschellen von mehreren Polizisten abgeführt wurde, und weiteren Zeugen und Zeuginnen statt. Gegen vier Polizisten und Polizistinnen laufen aktuell Ermittlungen wegen Freiheitsberaubung aufgrund einer am 9. Februar 2021 gestellten Strafanzeige. Der Zeugenbeistand Engin Sanli hat nach der richterlichen Vernehmung gegen einen der beteiligten Polizisten eine weitere Strafanzeige wegen Beleidigung und Freiheitsberaubung gestellt.
In einem Hochhaus in Singen hatten zwei Kinder auf einem Balkon im Treppenhaus gespielt. Während der Befragung hatte ein Beamter eines der Kinder, nachdem es seinen Nachnamen genannt hatte, gefragt, ob es von der „Zigeunerfamilie“ sei. Vor dem Haus hatten bereits zwei weitere Beamte zwei Kinder nach deren Personalien befragt. Als die Beamten das Gebäude mit den Kindern verließen, nahmen sie die Personalien der Kinder auf, die unten vor dem Haus spielten. Hierbei wurde eines der Kinder sinngemäß mit den Worten „Einer von den Zigeunern, die kennen wir ja“, „Du kommst eine Nacht hinter Gitter“ und „Der Tod kommt dich holen“ bedroht. Ohne ersichtlichen Anlass führten die Beamten daraufhin einen elfjährigen Jungen in Handschellen ab.
Rechtsanwalt Engin Sanli: „Im Zuge der richterlichen Vernehmung von zwei Zeugen ist bekannt geworden, dass ein Polizeibeamter gegenüber einem weiteren Kind gesagt habe, ob es von der ‚Zigeunerfamilie‘ wäre. Ihm wurde außerdem verwehrt, an das Handy zu gehen, als sein Vater ihn anrief. Die Befragung fand auf einem Balkon im 15. Stock statt. Dort mussten die Kinder auch ihre Taschen leeren. Diese länger andauernde Situation war für die Befragung nicht angemessen. Daraufhin habe ich gestern zusammen mit der Familie Strafanzeige gestellt.“
Daniel Strauß, Vorstandsvorsitzender des VDSR-BW: „Die Kinder waren sehr tapfer und haben ausgesagt. Wir vertrauen hier in die rechtsstaatlichen Instrumente der Ermittlungsbehörden und sind uns sicher, dass der Sache nachgegangen wird. Wir sind im Gespräch mit dem Innenministerium, wie wir strukturell dem Phänomen des Antiziganismus begegnen können.“
Auf Veranlassung des VDSR-BW hat zudem der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma am 9. März 2021 eine Beschwerde wegen diffamierender Berichterstattung in den Stuttgarter Nachrichten vom 11. Februar 2021 beim Presserat eingereicht.
(Text: Presseaussendung VDSR-BW)