Theodor-Kramer-Preis an Stefan Horvath
Juni 24th, 2016 | Published in Ehrungen & Nachrufe, Literatur & Bücher
Theodor-Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und Exil geht an den Oberwarter Rom und Autor Stefan Horvath und den Historiker Gerhard Scheit
Preisbegründung
Februar 1995, einen Tag, nachdem sein Sohn Peter Sárközi und drei andere junge Roma beim Terroranschlag von Oberwart ermordet worden waren, begann Stefan Horvath zu schreiben. Er schrieb, weil er nicht mehr schlafen konnte, weil er sein ganzes Leben lang, wie er selbst sagte, still geblieben war, so wie auch schon sein Vater, der die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald, Gusen und Mauthausen überlebt hatte und seine Mutter, Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück. Seit 1995, seit seinem 46. Lebensjahr, schreibt Stefan Horvath, er schreibt über das Überleben der Roma in Oberwart während des Porajmos, über das Leben nach 1945, nach 1995. Er erzählt und sein Erzählen ist ein Ankämpfen gegen das eigene Stillschweigen und gegen das Totschweigen durch die Gesellschaft. Seit 2003 sind die Bücher „Ich war nicht in Auschwitz“, „Katzenstreu“, „Atsinganos. Die Oberwarter Roma und ihre Siedlungen“ erschienen, viele Gedichte und der Einakter „Begegnung zwischen einem Engel und einem Zigeuner“ entstanden. Es sind starke literarische Arbeiten über den alltäglichen Antiziganismus in Österreich, welche das Schweigen brechen, den Diskriminierungen, der erdrückenden Ungerechtigkeit, dem Hass ein Ende setzen wollen. Stefan Horvath schreibt ohne Verbitterung, ohne Illusion, jedoch mit viel Hoffnung und meisterhaftem erzählerischem Können.
Biographie von Stefan Horvath (Oberwart)
Stefan Horvath wurde am 12. November 1949 in Oberwart, Burgenland, geboren. Er wuchs in der zweiten, 1946 entstandenen Oberwarter Roma-Siedlung, weit vom Ortskern entfernt und zwischen Schießplatz und Deponie gelegen, auf. Die Siedlung bestand die ersten Jahre aus einer Baracke der Roten Armee, und als die Roma die erste Entschädigungszahlungen für die zu Unrecht erlittene Haft erhielten, ließen sie von diesen Zahlungen Häuser in Massivbauweise errichten. Lage und Ausstattung der Siedlung waren Symbol dafür, wie wenig willkommen die Roma, die die NS-Verfolgung überlebt hatten, in ihrer Heimat waren.
Die erste, seit 1857 bekundete Roma-Siedlung war 1939 aufgelöst, ihre 360 BewohnerInnen vom NS-Regime deportiert und ermordet worden. Nur ein Dutzend Menschen hatte den Porajmos überlebt und war nach 1945 zurückgekehrt. Unter den Überlebenden befand sich Stefan Horvaths Vater, der ebenfalls Stefan hieß und Lanzo gerufen wurde. Dachau, Buchenwald, Gusen und Mauthausen waren zwischen 1939 und 1945 die Stationen seines Leidensweges gewesen. Die kleine Gemeinde Jabing liegt sechs Kilometer südöstlich von Oberwart. Von den ca. 100 Roma, welche dort bis 1939 gelebt hatten, waren fast alle ermordet worden, und einzig zwei Frauen waren in ihre Heimat zurückgekehrt. Maria Horvath, kurz Mizzi genannt, war eine der beiden Frauen. Sie hatte Auschwitz und Ravensbrück überlebt. Sie wurde die Mutter von Stefan Horvath.
Die Roma waren 1946 in Oberwart nicht willkommen. Auf den ursprünglichen Standplatz konnten sie nach 1945 nicht mehr zurückkehren, weil die Häuser 1939 von Nationalsozialisten dem Erdboden gleich gemacht worden waren. Dass sie in einer Baracke untergebracht wurden, erweckte natürlich auch Assoziationen an die überlebte Lagerzeit. Wie ausgeschlossen die Roma waren, wird dadurch ersichtlich, dass Stefan Horvath als erster Rom die Hauptschule besuchen konnte, durfte. Bereits vor 1939 war „Zigeunern“ der Schulbesuch verwehrt geblieben, kaum jemand in der Siedlung konnte lesen oder schreiben. Mit 15 Jahren begann er mangels Zukunftsperspektiven im Burgenland als Bauhilfsarbeiter in Wien zu arbeiten und kehrte jedes Wochenende in die Romasiedlung zurück. Unter seinen Kollegen verspürte er keine Anfeindungen, keinen Ausschluss, keine Diskriminierung. Am „Bau“ verdiente er um vieles mehr, als die anderen Roma aus Oberwart und schaffte es bis zum Betriebsrat.
1972 sollte die zweite Roma-Siedlung abgerissen werden. Oberwart war gewachsen und benötigte ein größeres Krankenhaus. Die BewohnerInnen der Siedlung wurden in ein neu: „am Anger“ umgesiedelt. Man bezog neue Substandard-Häuser, die nun noch ein Stück weiter vom Ortskern entfernt lagen.
In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995 wurden vier junge Männer der Siedlung unruhig. Sie hatten ungewöhnliche Tätigkeiten an einer Zufahrtsstraße beobachtet und wollten überprüfen, was dort geschah. Der rechtsextreme Terrorist Franz Fuchs hatte ein Schild mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien“ aufgestellt und mit einer Rohrbombe vermint. Die vier jungen Männer wollten das Schild kurz vor Mitternacht demontieren und wurden durch die Explosion der Bombe getötet. Einer der Toten war Stefan Horvaths Sohn Peter Sárközi. Er war zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre alt. Ermordet wurde Josef Simon Nardai, Hompa genannt. Er war 40 Jahre alt. Schon seine Mutter Helene Nardai hatte einige KZ überleben müssen. Die jüngsten Ermordeten waren die Brüder Karl und Erwin Horvath, 22 und 18 Jahre alt. Sie waren die Enkelkinder des KZ-Überlebenden Michael Horvath, der Buchenwald und Mauthausen überlebt hatte.
Am 5. Februar folgten auf Weisung eines burgenländischen Richters Hausdurchsuchungen der Gendarmerie, nicht bei Rechtsextremisten in ganz Österreich, sondern in der Roma-Siedlung. Man ging von einer „Fehde“ unter Roma aus. Dabei stand zur gleichen Zeit für die Fahnder aus Wien schon längst fest, dass es sich um rechtsextremen Terror handelte. Nicht einmal vor dem Schrecken machten die Schikanen halt.
An diesem 5. Februar 1995, als sein Sohn tot war, begann Stefan Horvath zu schreiben. Zuerst ein Gedicht: „Ich möcht ein Engel sein“. Er schrieb, weil er nicht mehr schlafen konnte, weil er sein ganzes Leben lang, wie er selbst sagte, still geblieben war, so wie auch schon seine Eltern. Sein erstes Buch hieß „Ich war nicht in Auschwitz“. Darin erzählt er in Ich-Form die Erlebnisse seiner Elterngeneration, erzählt über Verfolgung und Mord. Das Buch erschien 2003 dank der Unterstützung des Regisseurs und Musikers Peter Wagner, der auch Stefan Horvaths erstes Gedicht vertonte.
Ebenfalls 2003 entstand Peter Wagners Film „Stefan Horvath, Zigeuner aus Oberwart“. Im Programmbuch der Diagonale 2005 steht über das filmische Porträt von Stefan Horvath, dass dieses „dem Zuseher eine bemerkenswerte Persönlichkeit [näherbringt], die trotz des Dramas, das nach wie vor auf den Roma lastet, ihre Lebensfreude und ihren skeptischen Optimismus nicht verloren hat“. Im Jänner 2005 wurde Stefan Horvaths Theaterstück „Begegnung zwischen einem Engel und einem Zigeuner“ in Oberwart uraufgeführt. In dem Einakter schreibt Stefan Horvath gegen die Sprachlosigkeit zwischen Roma und Gadsche an. Regie führte Angelika Messner, der Hauptdarsteller war Christoph F. Krutzler.
2007 kam „Katzenstreu“ heraus, Stefan Horvaths Erzählung aus drei Perspektiven auf den Terroranschlag 1995. Teil der Erzählung ist ein ausführlicher Brief an den Mörder seines Sohnes: Franz Fuchs. In dem Brief an den inzwischen verstorbenen Attentäter beschreibt er, wie verzweifelt er nach dem Attentat war, wie „er Angst hatte, wahnsinnig zu werden“, erzählt, dass er sich umbringen wollte, dass er vom toten Adressaten in den verzweifeltsten Stunden seines Lebens gequält und verhöhnt wurde – und dass er, Stefan Horvath, am Ende der Stärkere war, „weil er den Hass aus sich verbannen konnte“. 2008 entstand, basierend auf dem Buch und in Zusammenarbeit mit dem Musiker und Komponisten Willi Spuller und dem Sprecher Karl Markovics die Hörspiel-CD „Katzenstreu“.
2013 erschien das Buch „Atsinganos. Die Oberwarter Roma und ihre Siedlungen“. Darin beschreibt der Autor mit großem erzählerischem Können das Leben und Überleben in Österreich nach 1945.
2013 erhielt Stefan Horvath als erster Schriftsteller den „Roma-Literaturpreis des Österreichischen PEN“.
(Text: Theodor Kramer Gesellschaft)