Gerechtigkeit für bleivergiftete Roma

Juni 12th, 2024  |  Published in Rassismus & Menschenrechte, Recht & Gericht

offener briefZahlreiche Roma-Organisationen, die „Gesell­schaft für be­droh­te Völ­ker“ (GfbV) und in­ter­na­tio­na­le Men­schen­rechts-An­wältin­nen und -An­wälte ha­ben einen offe­nen Brief an UN-Ge­ne­ral­sekre­tär Guterres ge­schrie­ben. Darin for­dern sie Ent­schädi­gung für die Roma, die 1999 in den blei­ver­seuch­ten La­gern der UN im Kosovo ver­gif­tet wur­den oder ihre An­ge­hö­ri­gen ver­loren.

RAN, 24.4.2024: Nach dem Kosovokrieg 1999 wurden die Roma aus dem Kosovo syste­matisch ver­trieben. Viele flohen in die an­grenzen­den Gebiete. Wer konnte, floh in den Westen. Ein kleiner Teil der ver­trie­benen Roma wurde in Lagern unter­ge­bracht, die die Übergangs­ver­wal­tung der UN im Kosovo (UNMIK) in Nord-Mitrovica ein­richtete. Diese Lager be­fanden sich in direkter Nähe zu einer Blei­schmelz­anlage, die seit den 1970er Jahren die Gegend ver­giftete. Die Erde, das Wasser und die Luft waren hoch­gradig mit Schwer­metallen belastet. Schnell ent­wickel­ten viele Bewoh­nerin­nen und Bewohner der Lager, ins­beson­dere die Kinder, Symp­tome einer Bleiv­ergiftung. Es kam zu Fehl­geburten, Kinder wurden mit Hirn­schäden geboren, Men­schen starben.

Bereits im Jahr 2000 hat ein Arzt hohe Menschen an Blei im Blut von Bewoh­nern und Be­wohnerin­nen festgestellt und die sofor­tige Evakuierung em­pfohlen. Ein deutscher Arzt hat die seines Wissens nach höchste Kon­zentra­tio­nen von Blei in den Haaren der Bewoh­ner/in­nen gefunden, die jemals ge­messen wurden. Dennoch wurden die Lager erst zwischen 2010 und 2013 auf­gelöst. Die meisten ehe­mali­gen Be­woh­ner/in­nen leben bis heute in desaströ­sen Zuständen und mit ruinierter Gesundheit im Ko­sovo, manche in an­deren Ländern.

Roma-Organisationen und andere Menschenrechtler/innen haben viele Jahre darum gekämpft, dass die Men­schen Hilfe be­kommen, um­gesiedelt werden, Ent­schädigung be­kommen. Die amerika­nische Men­schen­rechts-An­wäl­tin Dianne Post vertritt seit 2005 knapp 200 der geschä­digten Roma und hat in ihrem Auftrag geklagt. Nach elf Jahren un­ermüd­lichen Einsatzes hat sie zumin­dest einen juristi­schen Erfolg erzielt: Das „Human Rights Advisory Panel“ (HRAP) hat die UNMIK 2016 tat­sächlich für Men­schen­rechts­ver­letzun­gen im Zu­sammen­hang mit Blei­vergiftun­gen ver­ant­wortlich gemacht.

HRAP forderte die UNMIK auf, sich bei den Opfern der Bleivergiftungen zu ent­schul­digen und sie für den erlitte­nen Schaden zu ent­schädigen. Es wurde zwar ein Treuhand­fonds ein­gerichtet, er verfügt jedoch über so gut wie keine Mittel (die Mit­glieds­staaten müssten Mittel einzahlen, was sie nicht tun). Das be­deutet, die Ge­schädig­ten haben bis heute keine Entschädigung oder auch nur medizinische Hilfe be­kommen. Das Konzept des Treuhand­fonds sollte die Ge­schädigten sowieso nicht indivi­duell ent­schädigen (wie das normaler­weise bei solchen Pro­zessen der Fäll wäre), sondern es sollten daraus Projekte für die Roma-Com­mu­nity finanziert werden.

Der damalige UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Giftstoffe, Baskut Tuncak, be­zeichnete den Treuhand­fonds als einen „un­wirksamen und grund­legend fehler­haften“ Mechanis­mus, der „weder Gerechtig­keit noch die not­wendigen Elemente eines wirk­samen Rechts­behelfs für die Opfer“ biete, und forderte die Vereinten Nationen auf, eine Konsul­tation der Gemein­schaft ein­zu­leiten, um einen wirksamen Rechts­behelf fest­zu­legen.

Auch der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Wahrheit, Gerechtig­keit, Wieder­gut­machung und Garantien der Nicht­wiederh­olung, Fabián Salvioli, kritisiert 2023 in seinem Bericht zu Serbien und Kosovo, dass die oben genannten Maß­nahmen nicht ausreichen, „um eine wirksame Wieder­gut­machung nach inter­nationa­lem Recht zu ge­währ­leisten“.

Mit dem nun an Generalsekretär Guterres und seine Sonder­beauftragte und UNMIK-Lei­te­rin Ziadeh sowie die Mit­glieds­staaten der UN gerich­teten offenen Brief fordern Roma-Or­gani­satio­nen, die GfbV und Dianne Post sie auf, sich endlich für Gerechtig­keit für die ver­gifteten Roma im Kosovo ein­zu­setzen.

(Text: Roma Antidiscrimination Network/RAN, 24.4.2024)

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