Oberwart: „Mussten mit der Angst leben“

Februar 4th, 2020  |  Published in Geschichte & Gedenken, Rassismus & Menschenrechte

Vanessa Berger, Alysea Nardai und Manuela Horvath haben gemeinsam mit der Europäischen Mittelschule einen Film für die Gedenkfeier gedreht. (© Bild: Roland Pittner, Kurier.at)Der Oberwarter Bombenanschlag jährt sich heuer zum 25. Mal. Die Volks­grup­pe hat sich seit da­mals ver­än­dert, vie­les ist bes­ser ge­wor­den.

Roland Pittner, Kurier: „Wenn ich heute dort bei der Romasiedlung runter schaue, sehe ich noch den Gatsch, das Blut und die Haut­fetzen“, sagt Tina Nardai. Sie war elf Jahre alt, als eine Rohr­bombe vier Ober­warter Roma in der Nacht auf 5. Februar 1995 in den Tod riss. Josef Simon (40), Peter Sarközi (27), Karl Horvath (22) und Erwin Horvath (18) wur­den tödlich verletzt. Die Bilder haben sich in Nardais Kopf ge­brannt.

Und dieser Tag im Februar war ein Tag, der die Volksgruppe verändert hat. „Wir waren Kinder, es hat nie­mand mit uns darüber ge­redet. Es gab kein Krisen­inter­ven­tions­team, wir haben damit leben müs­sen und mit der Angst nach dem Anschlag“, sagt Nardai. Ihre Tochter Alysea ist heute so alt wie sie damals beim Attentat. Sie und ihre Schul­kol­le­gen be­reiten ge­mein­sam mit Manuela Horvath vom Roma­pastoral der Diözese Eisenstadt die Gedenk­feier vor. „Es war to­tales Chaos in der Sied­lung“, schil­dert Horvath. Sie war zehn Jahre alt, als ihr On­kel am 5. Februar 1995 in der Früh am Rande der Siedlung die vier Leichen ent­deckte.

Angst

An die Angst können sich noch alle erinnern, keiner wusste damals, wer für die Bombe ver­ant­wortlich war und ob es weitere Anschläge ge­ben würde. „Beim Be­gräbnis waren ver­mumm­te Polizisten mit Gewehren am Dach der katho­li­schen Kirche. In der Zeit danach durf­ten wir nicht mehr ohne Er­wach­sene draußen spielen“, er­innert sich Horvath. Das Ge­schehene ganz zu ver­arbeiten, sei un­möglich. „Es gehört zur jüngs­ten Zeit­geschichte, diese rassisti­schen Anschläge kann man nicht ein­fach streichen. Es war nicht nur die Rohr­bombe in Oberwart“, sagt Hor­vath. Ge­meinsam mit den Schülern hat sie die Biografien der Opfer er­forscht. Mit einem Film haben die Jugend­li­chen das Geschehene auf­ge­arbeitet. „Wir haben bei der Gedenk­stätte gefilmt und Inter­views mit Zeitzeugen des At­ten­tats ge­führt. Der ehe­malige Bischof Paul Iby schil­derte uns, wie er diesen Tag er­lebt hat“, sagt Alysea Nardai. Die Mädchen machen bei der Volks­gruppen­arbeit gerne mit.

Veränderung

Dass sie Roma sind, ist für die Jugendlichen ganz normal. „Ich stehe dazu“, sagt Alysea. Auch Vanessa hat kaum Negati­ves erlebt. Wobei: „Ab und zu schimpft uns schon wer Zigeuner“. Sonst fällt den beiden nichts ein, wo es Probleme wegen ihrer Herkunft oder ihrer Volks­gruppen­zu­ge­hörig­keit gebe. „Als Zigeuner­kind Ende der 80er-Jahre würde mir schon einiges einfallen. Wir hat­ten es nicht einfach in der Schule“, sagt Tina Nardai. Sie ist froh, dass ihre Kinder und andere Roma diese Erfah­rungen nicht mehr machen müssen. „Im Schul­bereich hat sich wirk­lich viel getan, und egal ob Roma oder nicht – alle haben heute die gleichen Chancen im Bil­dungs­wesen“, ist sich Nardai sicher.

Die Romasiedlung am Rand der Stadt verwaist zusehends. Nur noch 55 Bewohner leben hier, 1995 waren es etwa 160. Tina Nardai und Manuela Horvath sind weg­gezo­gen, kommen aber noch ihre Ver­wandten be­suchen. Zur Identität der Volks­gruppe trage die Siedlung für sie nicht bei. „Jeder hat die freie Ent­scheidung, wo er oder sie wohnt. Die Volks­gruppen­mit­glie­der haben heute viel mehr Mög­lich­keiten als unsere Groß­eltern­gene­ration“, sagt Horvath.

Das Attentat hat die Volksgruppe verändert. „Es ist nicht einfach, damit umzu­ge­hen, aber es ist wichtig, dass es eine Mög­lichkeit gibt, immer wieder an die Opfer zu erinnern“, sagt Horvath. Angst vor neuen Anschlä­gen haben sie nicht. „Aber 1995 hat auch nie­mand damit ge­rechnet“, sagt Nardai.

Gedenkveranstaltung

Die Feier zum Gedenken an die Opfer des Roma-Attentats vor 25 Jahren findet am Dienstag, den 4. Februar, in Oberwart statt. Um 18 Uhr be­ginnt die Ver­anstaltung in der Euro­päischen Mittel­schule. Schüler haben Bio­grafien der vier Opfer aus­gearbeitet und werden diese prä­sentieren. „Der Wissen­schaft­liche Leiter des Doku­mentations­archivs des öster­reichi­schen Wider­stands, Gerhard Baumgartner, hält den Haupt­vortrag“, erklärt Manuela Horvath, Leite­rin des Roma-Pastoral der Diö­zese Eisenstadt und Or­ganisa­torin der Ver­anstal­tung.

Danach folgt ein gemeinsamer Marsch zur Gedenkstätte bei der Roma­siedlung. Dort werden Bürger­meister Georg Rosner, der Vor­sitzende des Volks­gruppen­beirates der Roma, Emmerich Gärtner-Horvath, und Burgenlands Land­tags­präsi­den­tin Verena Dunst Ansprachen halten. Weih­bischof Franz Scharl von der Diözese Wien und Super­intendent der evange­li­schen Diözese Burgenland, Manfred Koch, werden ein öku­menisches Gebet spre­chen. Die Ab­schluss­worte über­nimmt der Prä­sident des National­rates Wolfgang Sobotka.

Terrorwelle in Österreich

1993 begann die schlimmste Terrorwelle der Zweiten Republik. Am 3. Dezember 1993 explo­dierten Briefbomben in den Hän­den des Hartber­ger Pfarrers Augustin Janisch und der ORF-Mo­dera­to­rin Silvana Meixner. Bis Dezem­ber 1996 wurden 23 weitere explo­sive Post­sendungen ver­schickt. Am 5. Dezem­ber ver­stüm­melte eine Briefbombe die linke Hand des Wiener Bürger­meisters Helmut Zilk.

Rohrbombe

In der Nacht auf 5. Februar explodierte eine Sprengfalle nahe der Romasiedlung in Oberwart und tötet vier Roma. Die Bombe war unter einem Schild mit der Auf­schrift „Roma zurück nach Indien“ ver­steckt. Am 6. Februar ging am Alt­papier­sammel­platz in der kroatisch­spra­chi­gen Gemeinde Stinatz, Bezirk Güssing, ein Spreng­satz hoch. Ein Mit­arbeiter des Umwelt­dienst wur­de verletzt.

Am 1. Oktober 1997 wurde Franz Fuchs bei seinem Heimatort Gralla, Steiermark, von der Polizei an­gehalten. Er zün­dete eine Bombe und verlor beide Hände. 1999 wurde er zu lebens­langer Haft ver­urteilt. Im Jahr 2000 nahm er sich in der Zelle das Leben.

(Text: Kurier. Wir danken dem Autor Roland Pittner für die freundliche Genehmigung!)

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